«Die Sozialdemokratie ist am Ende»
An der TV-Debatte der Sozialistischen Partei nahm er nicht teil. Doch Jean-Luc Mélenchon ist gemäss Umfragen der bestplatzierte Präsidentschaftskandidat der linken französischen Parteien.

Sie haben sicher die TV-Debatte der sozialistischen Kandidaten mitverfolgt. Ihr Eindruck?Jean-Luc Mélenchon: Das sind nette Jungs, ich kenne sie gut. Doch ich musste in der Sendung leiden. Denn ehrlich, ich habe mich gelangweilt. So viele Lügen. Man kann nicht das eine sagen, aber das andere machen.
Warum haben Sie nicht selber mitgemacht, um eine Einheitskandidatur der Linken zu ermöglichen?Das ist eine Frage der Loyalität gegenüber meinen Ideen. Ich kann nicht an einer internen Vorausscheidung teilnehmen, an der wir uns in der Sache über nichts einig sind.
Sozialistische Kandidaten wie Arnaud Montebourg sind aber gar nicht so weit von Ihnen entfernt. Er bietet ihnen eine Allianz nach der Primärwahl an.Die Regierung, der Montebourg angehörte, hat ein liberales Arbeitsrecht in Kraft gesetzt, das Millionen von Leute auf die Strasse getrieben hat. Die Sozialisten wollen, dass ich ihnen das Proletariat auf einem Tablett mitbringe. Das geht nicht so. Wenn Manuel Valls (vom rechten Parteiflügel der Sozialisten, Anm. d. Red.) die Primärwahl gewinnt, werden die sozialistischen Wähler in Massen zu mir überlaufen. Und wenn Montebourg gewinnt, werden wir halt kämpfen.
Ein Sozialist gegen einen Linken – und die Rechte profitiert.Sehen Sie, die Sozialdemokratie, einst die Matrix der europäischen Progressiven, ist heute in zwei Teile gespalten und politisch am Ende. Sie wollte das kapitalistische System korrigieren, kann aber seinen Lauf auch nicht ändern, da es auf dem ewigen Wirtschaftswachstum beruht. Die Sozialdemokraten wissen selber nicht mehr, wie sie die Globalisierung bremsen sollen.
Sie sind sehr EU-kritisch. Wollen Sie aus dem Euro aussteigen?Es geht nicht um den Euro, sondern darum, dass zwischen den Ländern ein Gleichgewicht fehlt, das die Voraussetzung für eine gemeinsame Währung ist. Deutschland hat zu hohe Überschüsse. François Hollande versprach bei seinem Amtsantritt 2012, die EU-Verträge neu auszuhandeln. Er hat nichts getan, ausser Frankreich zu ruinieren.
Was wollen Sie?Wir verlangen eine echte soziale und fiskalische Harmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten, ohne die der Euro unmöglich ist. Wir wollen uns von den europäischen Verträgen freimachen, um eine wahre Investitionspolitik der Nachfrage sowie einen ökologischen Übergang zu ermöglichen. Wir wollen das Modell des Freihandels überwinden, Märkte schützen und einen solidarischen Protektionismus ermöglichen. Wenn das nicht möglich ist, dann verlassen wir eben das Schiff.
So wie es die Rechtspopulistin Marine Le Pen will?Le Pen freut sich über den Brexit, sie will den Euro niedermachen, aus der EU aussteigen. Wir steigen nicht einfach aus, sondern suchen zuerst die Kraftprobe. Nicht so sehr mit Deutschland – ich bin germanophil –, sondern mit der deutschen Regierung und Finanzminister Wolfgang Schäuble.
Was halten Sie von der Kandidatur von Marine Le Pen?Sie gerät langsam in Panik. Jetzt vergreift sie sich sogar an Kindern: Sie will den Sprösslingen von Einwanderern die Schulbildung vorenthalten. Und dann kopiert sie ausgerechnet von den sterbenden Sozialisten das Parteiemblem der Rose – bei ihr in Blau. Die Kampagne von Marine Le Pen geht bachab.
Gibt es nicht Ähnlichkeiten zwischen Ihnen und Le Pen, was den antieuropäischen Kurs und den Populismus anbelangt?Früher sagte man, ich würde das Gleiche wie sie sagen, was die EU und den Euro anbelangt. Heute wird vielmehr Le Pen in ihrer Partei kritisiert, sie äffe mich nach. Tatsache ist, dass ich den Front National am direktesten bekämpfe. Neuerdings sogar mit einem Hologramm.
Sie meinen mit einem 3-D-Bild?Dank dieser neuen Technologie werde ich am 5. Februar an zwei Wahlmeetings zugleich auftreten können. An dem Tag hatte ich schon einen Auftritt in Paris vorgesehen. Dann erfuhren wir, dass der Front National am gleichen Tag eine Tagung in Lyon abhält. Diese Stadt will ich ihr nicht überlassen. Also plane ich einen Wahlkampfauftritt in Lyon. Um das Pariser Engagement einzuhalten, werde ich aber weiterhin in Paris auftreten, dort allerdings als Hologramm, das heisst virtuell in drei Dimensionen. Ein Novum für die Politik. Mal sehen, ob es klappt (lacht).
Sie sind kein Putin-Freund. Was sagen Sie zu den Schnüffelvorwürfen gegenüber Moskau?Ich glaube kein Wort von dem, was die Amerikaner behaupten. Dafür gibt es keinerlei Beweise. Warum schockiert es uns nicht, dass uns der US-Geheimdienst ausspioniert? Ich bin sehr beunruhigt über die antirussische Stimmung in Europa. Auch wenn ich keinerlei Sympathien für Wladimir Putin hege: Das Verhalten der Europäer gegenüber Moskau ist unverhältnismässig, ja irrational. Frankreich hat historisch enge Beziehungen zu Russland. Es ist in unserem Interesse, die Dinge zu beruhigen. Sonst kriegen wir auf dem Kontinent ein Problem.
Welche Haltung haben Sie gegenüber den Migranten in Europa? Solange Menschen hierherkommen, wirft man sie nicht ins Meer, sondern behandelt sie würdig. Insofern hat sich Deutschland exemplarisch verhalten. Zugleich müssen wir aber die Ursachen für die Migration bekämpfen – die Kriege, aber auch die EU-Abkommen, die die Entwicklungsländer zermalmen.
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