Die Show zieht nicht mehr
Aus den Trümmern der Bunga-Bunga-Ära auferstand ein normales Land. Unwahrscheinlich, dass Silvio Berlusconi nochmals übernimmt.

Die Mailänder Börse erlebte einen schwarzen Montag, Italiens Bankentitel taumelten, der Zinsabstand zwischen italienischen Staatsanleihen und deutschen Bundesschatzbriefen kletterte stündlich: Finanzmärkte und europäische Politik reagieren panisch auf den bevorstehenden Rücktritt von Mario Monti. Und starren auf das Comeback Silvio Berlusconis wie das Kaninchen auf die Schlange.
Aber haben sie überhaupt Grund dazu? Bisher zeigen die heftigen Reaktionen eigentlich nur, wie tief das Misstrauen gegen Italien sitzt. Man traut diesem Land und seinen Bürgern offenbar schon gar nicht mehr zu, verantwortlich für sich selbst zu entscheiden. Als seien die Italiener ein Volk von Kindern, von denen wir, sobald sie der gestrenge Professor Monti wieder sich selbst überlässt, nichts anderes erwarten können als gefährliche Dumme-Jungen-Streiche.
Wer fällt auf wen herein?
Sicher, es gibt diese Versuchung, und es gibt diese Gefahr. Schliesslich ist Berlusconis Instinkt für die Schwächen seiner Landsleute noch genauso wach wie vor 20 Jahren. Auch seine Versprechen sind allerdings die alten: Wir können weitermachen wie bisher, Kinder. Und niemand wird uns dafür zur Kasse bitten, dafür garantiere ich.
Der greise Illusionskünstler will seinen Wählern ein letztes Mal vorgaukeln, dass Italien nicht jenes zerrissene und verarmte Land ist, das Berlusconi vor einem Jahr Monti hinterlassen hat. Und das sich nur langsam erholt. Sondern eine strahlende Kulissenlandschaft mit heiteren Menschen wie im Berlusconi-Fernsehen. Zum Variétéprogramm des Meisters gehört auch, seinem Publikum weiszumachen, dass es niemandem etwas schulde. Schon gar nicht Europa.
Ein Land als Geisel
Muss man annehmen, dass die Italiener Berlusconi wieder auf den Leim gehen? Oder fallen nicht vielmehr wir schon wieder auf ihn herein, indem wir Italien so wenig vertrauen? Und so tun, als habe sich im vergangenen Jahr überhaupt nichts verändert? Als sei das rekonvaleszente Italien im Dezember 2012 nicht Lichtjahre entfernt von jenem grell geschminkten Scheintoten, den Mario Monti vor Jahresfrist an den Tropf legen musste. Italien 2011 war eine Geisel auf dem grausigen Maskenball des schamlosen Regierungschefs, der beim Gespräch mit seinen europäischen Amtskollegen einzuschlafen pflegte: Berlusconi feierte nachts und fiel tagsüber in Starre.
Italien 2012 ist ein Land, das sich um Normalität bemüht und dafür einen hohen Preis bezahlt. Aber es ist auch ein Land ohne Scham. Vor einem Jahr war das vorherrschende Gefühl: sich zu schämen für die peinlichste Regierung Europas und sich zu ängstigen vor jenem Abgrund, den diese Regierung so geflissentlich übersah.
Trümmer zusammenräumen
Heute gilt: Zähne zusammenbeissen mit erhobenem Kopf. Man räumt die Bunga-Bunga-Trümmer weg – Rekordarbeitslosigkeit von 11 Prozent, Armutsrisiko für 30 Prozent der Familien, Nullwachstum und hohe Steuern – und ächzt darunter nicht wenig. Aber dass nun wirklich eine Mehrheit der Ansicht wäre, Monti sei an all dem schuld, muss sich erst noch herausstellen. Trotz seiner Strenge ist der Professor nicht unbeliebt. Oder eher: wegen seiner Strenge? Monti hat Bodenhaftung, Bescheidenheit und Nüchternheit in die Politik zurückgebracht. Ein grosser Teil der Bürger findet das sehr angenehm.
Monti setzt auf das Verantwortungsgefühl der Italiener, Berlusconi nur auf deren kurzes Gedächtnis. Deshalb tritt er aus den gleichen Gründen an wie 1994: Er muss seine Firma vor dem Ruin bewahren und die eigene Haut retten. Schnell den Wahlkampf eröffnen, bevor der Mailänder Prostituierten-Prozess mit ihm auf der Anklagebank in die heisse Phase tritt! Und diesen Wahlkampf bestreitet Berlusconi mit dem immer gleichen Personal: Ex-Fernsehsternchen, Ex-Unternehmer, Ex-Fussballer. Alles von gestern. Alles zum Gähnen.
Italien hat es in der Hand
Vor einer Woche beteiligten sich drei Millionen Bürger an der Urwahl der linken Mitte. Sie zeigten Lust an der Mitbestimmung, Lust an der Politik. Ihr Spitzenkandidat ist der Sozialdemokrat Pier Luigi Bersani. Kein neuer Mann, aber bedächtig und besonnen wie Monti. Nur weiter links. Bersani erhält in Popularitätsumfragen 38 Prozent, Berlusconi nur 15. Wenn Monti sich entscheiden würde, als Premier für einen neuen Zentrumsblock zu kandidieren, wäre der Untote aus dem Variété wohl noch stärker isoliert.
Italien kann Berlusconi abwählen, so einfach ist das. Schon im Februar kann es so weit sein. Und es wäre, zur Beruhigung Europas und der Märkte, wohl endgültig.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch