«Die Rekrutierungsquote für Terroristen wird sich erhöhen»
Nach dem Führungswechsel bei der al-Qaida könnte der internationale Terror weiter gedeihen. Die grösste Gefahr gehe jedoch nicht von Ayman al-Zawahri aus. Ein Islam-Experte nimmt Stellung.
Ayman al-Zawahri wurde heute zum Nachfolger von Osama Bin Laden bei der al-Qaida ernannt. Die westliche Welt stellt sich nun die berechtigte Frage: Was bedeutet der Wechsel an der Spitze von al-Qaida für den Westen?
Für den Basler Islamexperten Edward Badeen steht fest, dass eine allfällige Terrorwelle nichts mit der Person Ayman al-Zawahri zu tun hätte. Viel eher müsse aufgepasst werden, wie Muslime in der westlichen Welt behandelt würden. Würden diese beleidigt, käme es sofort zu mehr Rekrutierungen durch die Terrornetzwerke. Im Auge zu behalten, gelte es etwa die Situation von Pakistanern in England. «Dort und auch im Rest von Europa wird sich die Rekrutierungsquote für Terroristen voraussichtlich erhöhen», so Badeen.
Das eigentliche Hirn der al-Qaida
Natürlich gelte es auch die Person Ayman al-Zawahri im Auge zu behalten. Er galt schon vor der Tötung Osama Bin Ladens als das eigentliche Hirn von al-Qaida – nun kann der wortgewandte Vordenker des islamischen Extremismus ganz offiziell als Nummer eins die Geschicke des Terrornetzwerks führen.
Der ägyptische Augenarzt entwickelte sich in den vergangenen Jahren zum Sprachrohr Bin Ladens, dem er auch als Leibarzt diente. Gemeinsam mit Bin Laden soll Zawahri, der am 19. Juni 60 Jahre alt wird, der intellektuelle Wegbereiter der Anschläge vom 11. September 2001, aber auch der Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania sein.
Mit Zawahri an der Spitze will al-Qaida laut einer Mitteilung vom Donnerstag den «Heiligen Krieg» gegen die USA und ihre Verbündeten fortsetzen. Auch der aus bürgerlichen Verhältnissen stammende Zawahri selbst hat schon mehrmals in Botschaften zum Jihad aufgerufen.
Mit ihm könnte al-Qaida verstärkt auf moderne Technik setzen: In einer im Februar im Internet aufgetauchten Erklärung appellierte Zawahri an seine Gefolgsleute, bei künftigen Anschlagsplanungen «neue Wege» zu gehen. Er beklagte, dass die muslimische Welt bei Technologie und Waffentechnik hinter dem Westen hinterherhinke.
Drahtzieher der Ermordung Sadats
Zawahri ist Sohn eines renommierten Arztes und Enkel eines führenden Predigers am Kairoer Al-Ashar-Institut, der höchsten Instanz für sunnitische Muslime. Sein Werdegang weist ihn als regelrechten Karriere-Islamisten aus: Schon als Jugendlicher wandte er sich dem radikalen Islam zu. Als 15-Jähriger wurde er wegen Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft festgenommen.
Nach dem Abschluss seines Medizinstudiums an der Universität Kairo 1974 machte er sich mit leidenschaftlichen Plädoyers gegen den Westen und für eine Rückbesinnung auf die Wurzeln des Glaubens einen Namen im radikalislamischen Untergrund.
Zawahris Gruppe al-Jihad soll die Fäden bei der Ermordung des prowestlichen ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat im Oktober 1981 gezogen haben. Zawahri verbüsste dafür eine dreijährige Haftstrafe.
1992 startete al-Jihad eine Attentatsserie in Ägypten. Die Gruppe soll auch für den Anschlag 1997 in Luxor verantwortlich sein, bei dem 62 Menschen starben, darunter 58 ausländische Touristen. 1999 wurde Zawahri in Ägypten in Abwesenheit zum Tod verurteilt.
Seit 1998 bei al-Qaida
In Afghanistan hielt sich Zawahri nach Angaben des islamistischen Anwalts Muntasser al-Sajat, der ihn gut kannte, erstmals 1979 und dann noch einmal 1980 auf. Nach Verbüssung seiner Haftstrafe setzte er sich Mitte der Achtzigerjahre mit einer Handvoll Getreuer endgültig aus Ägypten ab und gelangte über Saudiarabien, Sudan und die Vereinigten Staaten nach Afghanistan.
Er versorgte dort die im Kampf mit den sowjetischen Truppen verletzten Mujahedin und lernte in dieser Zeit Bin Laden kennen. Doch erst seit 1998 engagiert sich Zawahri bei al-Qaida.
Der Mann mit der markanten Stirn, der stets mit leiser Stimme spricht, wird von Sajat als in sich gekehrter Intellektueller beschrieben. Zawahri veröffentlichte mehrere Abhandlungen über radikalislamische Politikkonzepte und verfasste zahlreiche Gedichte.
Nach Informationen vom Dezember 2001 verlor er bei einem US-Angriff auf das afghanische Kandahar seine Frau, seine beiden Töchter und seinen Sohn. Laut dem pakistanischen Journalisten Hamid Mir, der Zawahri zweimal traf, heiratete er erneut und wurde 2005 wieder Vater einer Tochter.
Von den USA und Interpol wird Zawahri weltweit gesucht. Obwohl US-Sicherheitsberater Tom Donilon ihn noch im Mai als deutlich weniger gefährlich eingestuft hatte als Bin Laden, bleibt der Ägypter einer der grössten Feinde der USA. Das US-Aussenministerium hat eine Belohnung von 25 Millionen Dollar für seine Ergreifung ausgesetzt.
SDA/mrs
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