Die Porno-Romane aus dem KZ
Sie handeln von Sexspielen zwischen SS-Aufseherinnen und Gefangenen und fanden in den Sechzigern einen reissenden Absatz – bei Juden. Ein Dokfilm geht dem bizarren Phänomen der Groschenromane auf die Spur.
Auf den ersten Blick erscheint das Ganze völlig paradox. Da sind diese Schundheftchen mit den vollbusigen Frauen auf den Titelbildern, die sich von amerikanischen Pin-up-Girls nur durch ein Accessoire unterscheiden: die Binde am Oberarm mit dem Nazi-Symbol. Die SS-Aufseherinnen stehen da mit geballter Faust, Pistole in der Hand oder einer schwarzen Peitsche, die Uniform jeweils tief aufgeknöpft.
Ihre Opfer: wehrlose Gefangene mit entblösstem und verletztem Oberkörper, mit Sack über dem Kopf an einem Seil hängend oder auf allen Vieren am Boden. Ausgerechnet in Israel waren diese pornografischen Groschenromane, in denen sich Nazis an wehrlosen jüdischen oder alliierten Gefangenen vergreifen, ein unglaublicher Hit.
Riesiger Erfolg an israelischen Kiosken
Der israelische Regisseur und Filmemacher Ari Libsker versucht dieses groteske Phänomen nun mit einem Dok-Film zu ergründen. Weshalb waren die Schundhefte so ein Erfolg? Weshalb erst ab 1961? Und wie lässt es sich erklären, dass die Romane ausgerechnet von jüdischen Autorinnen und Autoren stammen, die selber ein Konzentrationslager überlebt haben? 1961 war der erste derartige pornografische Groschenroman an israelischen Kiosken erhältlich. «Stalag 13» hiess er und verkaufte sich 80'000 Mal. In der Folge kamen immer mehr Hefte auf den Markt und sie wurden von Mal zu Mal brutaler und grausamer. Das führte so weit, dass 1962 ein Gericht einschreiten musste und diverse Hefte verbieten und sogar vernichten liess, darunter ein Taschenbuch mit dem Titel «Ich war Oberst Schultzes Hündin». Es handelte davon, wie ein SS-Offizier eine französische Insassin eines Gefangenenlagers foltert.
Besonders bei den jungen Israeli waren die Schundhefte beliebt. Nicht nur, dass sie wohl zum ersten Mal pornografisches Material zu Gesicht bekamen, sie erfuhren damit wohl auch erstmals von den Nazi-Gräueltaten während des Zweiten Weltkriegs. Auslöser und Nährboden zugleich war der berühmte Eichmann-Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann. Bei dieser Gerichtsverhandlung erfuhren die Menschen in Israel erstmal richtig, was damals in den Konzentrationslagern geschehen war. In den 15 Jahren zuvor gab es kaum Gehör für die Holocaust-Überlebenden. Die Zeitungen berichteten über den Prozess und druckten gleichzeitig Inserate für die neusten Porno-Romane ab.
Opfer flüchten sich in masochistische Fantasien
Die Geschichte der Stalag-Romane ist immer derselbe. Gefangener wird ins Konzentrationslager eingeliefert, wo er von lüsternen, vollbusigen SS-Aufseherinnen sexuell missbraucht und misshandelt wird. Ein Happyend gibt es jeweils auch: Der Gefangene kann seine Peinigerinnen überwältigen, vergewaltigen und töten. Die israelischen Autoren verwendeten jeweils englischsprachige Pseudonyme und schrieben in Ich-Form.
Was völlig abwegig erscheint, kann die Sexualtherapeutin Helen Singer-Kaplan erklären: Menschen mit masochistischen Fantasien seien als Kind oft einer seelischen oder körperlichen Grausamkeit ausgesetzt gewesen. Als Beispiel erzählt sie die Geschichte einer jüdischen Frau, die als Kind in einem KZ eingesperrt gewesen war, wo sie ihre gesamte Familie verlor. Später konnte sie nur sexuell erregt werden, wenn sie sich Sex mit einer SS-Wache vorstellte.
Der Dok-Film «Pornographie & Holocaust» läuft ab sofort in den deutschen Kinos. Gemäss dem Vertrieb Moviemento ist nicht geplant, dass er in die Schweizer Kinos gezeigt wird. Im kommenden Frühjahr soll er jedoch auf DVD erscheinen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch