Joachim Rittmeyers neues StückDie pathosfreie Landeshymne und der Zauber der Autokorrektur
Der Schweizer Kabarettist verwandelt in «Knackwerk» Allerweltssätze in dadaistisch funkelnde Bijous und leere PET-Flaschen in erfüllende Kunst. Zu bestaunen in der Cappella.

Das Publikum hat sich pünktlich in der Berner La Cappella eingefunden. Aber es ist trotzdem zu früh. So jedenfalls teilt es uns der Mann auf der Bühne mit. Er müsse die Kunstinstallation, die hier affichiert ist, zuerst noch aufbauen. «Aber Si chönd scho bliibe.»
Dass die Zuschauerinnen und Zuschauer in «Knackwerk» einen Abend lang der Installation einer Installation beiwohnen, ist eine für das Schaffen von Joachim Rittmeyer durchaus typische Stückanlage. Der Schweizer Kabarettist hat das virtuose Nebenbei, das versponnene Abschweifen, den traumtänzerischen Leerlauf seit dem ersten Soloprogramm (1974) zur hohen Kunst gebracht.
«Tüüre Schinke»
Allein ist der 71-Jährige in seinen Soloprogrammen jeweils nicht. Er hat seine drei bewährten Figuren dabei, die er alle selber verkörpert: den verschupften Hanspeter Brauchle, der sich hat erweichen lassen, die Installation zu installieren, den eingebürgerten Slawen Jovan Nabo sowie den hemdsärmeligen Theo Metzler, der das Publikum darüber aufklärt, warum es zu früh gekommen ist. Es war die Autokorrektur, die böse in die Einladung reingepfuscht hat!
Doch wo andere Humoristen die Marotten der Technik geisseln würden, erklärt Metzler aka Rittmeyer, dass er selber eine Art Autokorrektur im Oberstübchen habe, und demonstriert dies umgehend, indem er Allerweltssätze in dadaistisch funkelnde Bijous verwandelt. Da wird aus «tüüre Schinke» beispielsweise «d Schtüüre sinke».

Aber zurück zur Kunstinstallation. In dieses lose Handlungsgerüst handwerkt Rittmeyer seine einzelnen Nummern hinein, verschrobene Miniaturen, kleine, irrwitzige Geschichten mit Pointen, die kaum je das Offensichtliche ansteuern. So erzählt Hanspeter Brauchle, er sei zwischen Weihnachten und Neujahr «wieder einmal für einen Kraftort zu haben gewesen», wobei ihn seine Suche dann doch nur ins neue Fitnesscenter nebenan geführt hat, wo er sich ungewollt in eine Ohnmacht ruderte. Jovan Nabo wiederum, der notorisch unterforderte Musikus, gibt seine Version der Landeshymne zum Besten, die ganz ohne Pathos und Patriotismus auskommt, weil der Text allein aus statistischen Daten zur Schweiz besteht – und «Herrlicher» mit «Federer» ersetzt.
Im Einspeisewagen nach Chur
Rittmeyer hat nicht nur ein besonderes Faible für eine aus besonderen Hirnwindungen hervorgekitzelte Sprache, sondern auch für jene Gegenstände, denen im Alltag nur wenig Beachtung geschenkt wird. Die Velo-Distanzkelle etwa. Die Massagematte aus Holzkugeln. Die Elektro-Zahnbürste, die sich Theo Metzler gern im Zug nach Chur auflädt (im Einspeisewagen, sozusagen). Oder die ausgetrunkene PET-Flasche.
Metzler führt gleich vor, wie man am besten die Luft aus dem leeren Behältnis presst und dabei prüfen kann, ob die Flasche noch knackig ist. Denn das spielt eine Rolle für die bevorstehende Präsentation des Kunstwerks namens «Knackwerk», bei dem eine Art Geist aus den Flaschen gezaubert wird, aber da nehmen wir den Schluss vorweg.
Rittmeyer ist so etwas wie der Feinmechaniker unter den Schweizer Humorschaffenden, weil er das Wunderliche dem Schenkelklopferischen vorzieht.
Joachim Rittmeyer hat in seiner langen Karriere gewonnen, was es in seiner Branche zu gewinnen gibt (Salzburger Stier, Cornichon, Schweizer Kleinkunstpreis). Und das neue Stück fügt sich nahtlos in das Gesamtwerk des gebürtigen St. Gallers ein, der so etwas wie der Feinmechaniker unter den Schweizer Humorschaffenden ist, weil er das Wunderliche und Zarte dem Schenkelklopferischen vorzieht. Auf der Bühne jedenfalls scheint er sich dann am wohlsten zu fühlen, wenn er hinter einer Figur verschwinden kann. So teilt er in Bern den Schlussapplaus auch grosszügig mit Nabo und Brauchle.
Die Rolle des Rollmeters
Natürlich hat Rittmeyers Figuren-Trio mittlerweile ein beträchtliches Dienstalter erreicht, aber komplett durchdekliniert scheinen Brauchle, Metzler und Nabo noch nicht. Die drei sind ihrem Schöpfer sichtlich ans Herz und auf den Leib gewachsen, ja sogar in die Physiognomie hinein: Jedes Mal, wenn Rittmeyer in einer anderen Rolle auf die Bühne kommt, scheint er ein neues Gesicht zu tragen.
Dazu kommt, dass der ausgebildete Primarlehrer seine Geschichten dezent ins Alltagsphilosophische zu drehen weiss – aber stets mit dem nötigen Unernst, versteht sich. So philosofaselt Theo Metzler über den Drang des Rollmeters – jenes Messgeräts, das auf Knopfdruck in sein Gehäuse schnellt –, immer wieder zu seiner ursprünglichen Form zurückzukehren. Im Grunde tut Rittmeyer in seiner Kunst nichts anderes. Trotzdem haben sich nicht nur seine PET-Flaschen, sondern auch seine Ideen ihre Knackigkeit erhalten.
La Cappella, Bern, weitere Aufführungen bis 12. Februar
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