Die neue Hauptstadt soll im Dschungel gebaut werden
Um das zu versinken drohende Jakarta zu entlasten, baut sich der Inselstaat Indonesien eine neue Kapitale auf Borneo.

Noch hat sie keinen Namen. Wie wird sie aussehen? Wem wird sie ähneln? Die Indonesier wissen noch nicht allzu viel über ihr neues Baby. Nur dass die Geburt nun doch näher zu rücken scheint. Präsident Joko Widodo trat Anfang der Woche vor die Nation und verkündete, dass Indonesien eine neue Hauptstadt bekommen wird.
Nun wissen die Leute schon eine Weile, dass Widodo auf dieses Ziel hinarbeitet, insofern hielt sich die Überraschung über die offizielle Ankündigung in Grenzen. Das Parlament ist nun beauftragt, ein Gesetz auszuarbeiten, um den Umzug rasch anzuschieben. Die Regierung habe die Optionen nun drei Jahre lang eingehend studiert, sagte Widodo. Und im Ergebnis sei die Wahl auf Kalimantan gefallen, das ist der indonesische Teil der Insel Borneo.

Es könnte das komplizierteste Projekt werden, das der Staat seit der Unabhängigkeit von den Holländern jemals angepackt hat; zumal die Regierung nun von Insel zu Insel umziehen muss. Als Bauplatz für den künftigen Regierungssitz hat Widodo ein küstennahes Gebiet im Osten Borneos benannt, nicht weit von der Stadt Balikpapan entfernt. Die Hauptstadt wird demnach in die tiefe Provinz verlegt. Ein grosses Abenteuer? Ganz bestimmt. Doch an der Entschlossenheit Jokowis, wie die Indonesier ihren Präsidenten nennen, gibt es kaum Zweifel.
Schon in früheren Jahrzehnten spielten Politiker in Jakarta mit der Idee, die Hauptstadt zu verlegen. Allerdings hat kein Staatschef das Vorhaben so ernsthaft vorangetrieben wie Jokowi. Und das dürfte mit der immerzu wachsenden Misere in der bestehenden Hauptstadt Jakarta zu tun haben. Im Einzugsgebiet der Metropole leben jetzt 30 Millionen Menschen, die Stadt ist ein Moloch, dessen Verkehrsstaus so legendär wie gefürchtet sind. Mangelnde Planung hat das Ballungsgebiet über die Jahrzehnte in massive Mobilitätsprobleme gestürzt, Müll und Smog sind schwer beherrschbar.
Gefahr von Überflutungen
Doch am bedrohlichsten ist: Jakarta sinkt, teils senkt sich der Boden um 25 Zentimeter im Jahr ab, was vor allem daran liegt, dass die Bewohner so viel Wasser aus dem Boden pumpen. Damit steigt die Gefahr von Überflutungen, vor allem im Norden der Stadt. Ein Schutzwall im Meer soll künftig das Schlimmste verhindern, doch Jokowi ist frustriert, dass sich der Bau immer wieder verzögert. Der Klimawandel dürfte die Leiden Jakartas weiter verschärfen, weil der Meeresspiegel steigt und damit zu rechnen ist, dass Stürme heftiger wüten als zuvor.
An apokalyptischen Szenarien für Jakarta mangelt es nicht, insofern spricht viel dafür, neue Wege zu gehen: «Jakarta trägt eine überwältigende Bürde als Zentrum der Verwaltung, der Geschäftswelt, von Finanzen, Handel und Dienstleistungen», erklärte der Präsident. Ihre Rolle als Wirtschaftsmetropole soll die Stadt zwar behalten, doch der Präsident will sie durch den Abzug des Regierungssitzes entlasten. Womöglich wird das helfen, von Jakarta zu retten, was noch zu retten ist.
Widodo sagte, dass Indonesien bisher nie in der Lage gewesen sei, seine Hauptstadt selbst zu wählen, er spielte damit auf die holländischen Kolonialherren an, die ihre ostasiatischen Besitzungen seit dem 17. Jahrhundert vom Handelsposten in Batavia aus kontrollierten, das später dann in Jakarta umbenannt wurde. Widodo erwähnte dies kaum zufällig, hofft er doch, dass die Wahl einer neuen Hauptstadt den Willen zur Einheit stärkt.
«Der Standort ist sehr strategisch.»
Jakarta symbolisiert nicht nur das Erbe der Kolonialzeit. Die Stadt liegt auf Java und damit auf jener Insel, die Indonesien ökonomisch und politisch stets dominierte, obgleich sie die kleinste der sogenannten Grossen Sundainseln ist. Sumatra, Borneo und Sulawesi sind weniger entwickelt, ganz zu schweigen von Tausenden kleineren Inseln, die zum riesigen Staatsgebiet gehören. Die Aufgabe, die entlegenen Regionen im Inselarchipel stärker anzubinden, gilt als immens.
Und es gibt seit langem eine indonesische Debatte darüber, ob es nicht ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit wäre, die Hauptstadt Indonesiens stärker zu «zentrieren», das heisst einen Standort zu finden, der geografisch weitgehend in der Mitte zwischen Sumatra im Westen und Papua im Osten liegt. Diese Überlegung machte Borneo zum Favoriten. «Der Standort ist sehr strategisch», versicherte Jokowi. Er möchte, dass dieser Ort dann auch zur Keimzelle für Aufschwung in vernachlässigten Gegenden wird.
Keine speienden Vulkane
Der Standort hat noch einen weiteren Vorteil: Es gibt keine speienden Vulkane in der Nähe. Ausserdem ist auf Borneo noch verfügbar, was auf Java aufgrundder Bevölkerungsdichte äusserst knapp geworden ist: Land. Zwei Distrikte wurden für den Bau ausgewählt. Dort besitzt der Staat bereits 1800 Quadratkilometer Grund, anfangs soll sich die Metropole über 400 Quadratkilometer erstrecken, sie wäre dann etwas grösser als München. Die Kosten werden auf 30 Milliarden Dollar geschätzt. Schon ab 2024 hofft die Regierung mit dem Umzug erster Beamter zu beginnen.
Einzigartig ist so ein Hauptstadttransfer nicht, schon andere Länder haben neue Verwaltungs- oder Regierungszentren gebaut, um die alten Hauptstädte zu ersetzen oder zu entlasten, Nigeria und Brasilien sind Beispiele dafür. Borneo war früher fast überall von Regenwald bedeckt, doch massiver Holzeinschlag, Feuer und das Anlegen von Palmölplantagen haben die Tropenwälder weitgehend zerstört oder so stark fragmentiert, dass einst verbreitete Tierarten wie die Orang-Utans inzwischen als extrem gefährdet gelten. Auch der Abbau von Kohle hat viele Schäden angerichtet.
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