Die Müttersekten
Neben der Familie «selbständig sein und Geld verdienen» tönt verlockend. Was Gonis, Mary Kay oder Tupperware ihren Beraterinnen wirklich bieten.

Zum ersten Mal bin ich in einem Mütterforum über Gonis gestolpert. Da wurden Basteltipps ausgetauscht und diverse Mütter erzählten, dass es schlicht nichts Besseres gebe und sie nichts anderes mehr verwenden würden als Gonis. Ich verstand zuerst nur Bahnhof, erfuhr dann aber, dass es sich um Bastelprodukte handelt, die exklusiv über sogenannte Beraterinnen an privaten Gonis-Vorführungen verkauft werden. Tupperware-Partys mit Bastelinhalt sozusagen. Das Thema war für mich somit erst einmal abgehakt, da ich mit solchen Verkaufsanlässen nichts anfangen kann.
Doch es tauchte wieder auf, dieses Mal in einer weiteren Variante: Mary Kay. Auch hier verkaufen Beraterinnen – Entschuldigung, Consultants – an privaten Partys Produkte an andere Frauen, in diesem Fall Beautyprodukte. Da eine Bekannte von mir bei Mary Kay angeheuert hat, habe ich Einblick in diese Welt bekommen, die mir zuvor völlig fremd war. Und es gefiel mir nicht, was ich da gesehen habe.
Tupperware, Gonis, Mary Kay, sie alle zielen explizit auf verzweifelte Mütter. Mamas, die der Kinder wegen ihren Job aufgegeben haben und nach ein paar Jahren gerne wieder Teilzeit arbeiten würden, aber nichts Passendes mehr finden. Oder Mütter, die ihr Arbeitspensum reduziert und dadurch alle spannenden Aufgaben verloren haben. Alle drei Unternehmen locken denn auch mit den genau gleichen Argumenten: «ein Job, der auch der Familie Spass macht», «arbeiten, wann und so oft Sie möchten», «Anerkennung bekommen», «selbstständig sein und Geld verdienen». Und immer wieder fällt das Schlagwort Karriere, gekoppelt mit Familienfreundlichkeit.
Dass das alles schöngeredet ist, erfährt man, wenn man sich im Web nach Erfahrungsberichten umsieht. «Es hat Spass gemacht. Gelohnt hat es sich aber nicht, wenn man mal all die Stunden rechnet, welche man nebst den Präsentationen aufwendet», schreibt etwa eine ehemalige Gonis-Beraterin.
Tupperware und Gonis scheinen mir allerdings noch harmlos zu sein im Vergleich zu Mary Kay. Die Führungsriege der 1963 in Amerika gegründeten Firma schafft es, ihre Consultants regelrecht einzulullen und sie einer rosa gefärbten Gehirnwäsche zu unterziehen. So sagen mehrere ehemalige Mitarbeiterinnen gegenüber dem Sender ABC News (siehe Video unten), dass sie damals 24 Stunden am Tag nur noch an Mary Kay gedacht haben. Und von aktiven Mary-Kay-Frauen fallen im Web Sätze wie «Mary Kay hat mein Leben verändert!» oder sie schreiben einander «Endlich gehen wir alle gemeinsam den Mary-Kay-Weg!» auf ihr Facebook-Profil und tragen Prämien wie die Mary-Kay-Fingerringe mit solchem Stolz, als wäre es ein Verlobungsring.
Auch in einem offiziellen Promovideo der Firma erzählen Frauen aus dem Off, wie unglaublich es sei, dass sich dank Mary Kay alles in ihrem Leben verändert habe. Es passt ins Bild, dass Aussteiger im Internet von sektenähnlichen Zuständen und «Methoden, die sehr stark an Scientology erinnern», berichten. «Und ausser den Damen, die schon viele Jahre Direktorinnen sind, verdient da nicht wirklich jemand Geld. Mal abgesehen vom Unternehmen selbst, versteht sich», schreibt zum Beispiel Eva in einem Kommentar. Sie ergänzt, dass sie einige Ex-Consultants kenne, die «für mehrere Tausend Euro Ware bestellt haben und sie nicht verkaufen können. Man wird immer wieder von den Direktorinnen angehalten, neue Ware zu bestellen, die man nicht mehr loswird.» Auch eine andere Userin sagt, dass eine Freundin, die sie dort kennen gelernt habe, «leider immer noch in der Sekte ist, und ich sehe, wie ihr eigenes Geld verschwindet und die MK-Dinge mehr werden.»
So wird aus der vermeintlichen Traumkarriere, die die ganze Familie glücklich machen soll, schnell ein Verlustgeschäft, das die Familie in finanzielle Nöte bringt und die Mütter noch verzweifelter zurücklässt.
Selber schuld, mögen Sie denken, man müsste das doch von Beginn weg durchschauen. Stimmt. Aber hier wird ganz bewusst auf die Schwachstelle dieser Mütter gezielt: ihren dringenden Wunsch, endlich wieder einen spannenden Job zu haben, der sich in den Familienalltag integrieren lässt. Schwärmt ihnen dann noch eine sympathische Beraterin – vielleicht ist es sogar eine Freundin – vor, wie einfach man als selbstständige Consultant Geld verdient und dass man erst noch Spass hat dabei und an den Events mit Lob und Anerkennung überhäuft wird, dann ist es um viele Frauen geschehen. Dass sie nur benutzt werden, womöglich auch bloss zum Vorteil der anderen angeworben wurden (mit drei Teammitgliedern steigt man selber zur Star-Anwerberin auf), merken sie leider erst, wenn es zu spät ist und sie wenigstens den Vorführkoffer schon gekauft haben.
Werden Sie also das nächste Mal an so eine Verkaufsveranstaltung – gerne getarnt als lustige Schminkparty mit den Mädels – eingeladen, dann verzichten Sie. Und sollten Sie die zweifelhafte Ehre erfahren, selber bei Mary Kay einsteigen zu dürfen, denken Sie an folgende Aussage ehemaliger Mitarbeiterinnen: «Am meisten verdient man als Mary-Kay-Beraterin nicht durch den Verkauf, sondern indem man immer wieder neue Leute anwirbt.»
Dieser Artikel wurde erstmals am 2. März 2020 publiziert und am 11. Mai 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.
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