
Ob eine Lebensform scheitert, ist abhängig davon, ob sie fähig ist, zu lernen, sich anders auszurichten und zu verändern. Das setzt zunächst voraus, dass Krisenerfahrungen überhaupt als solche realistisch wahrgenommen werden. Aber es braucht auch Optimismus. Es braucht die Überzeugung, etwas ausrichten zu können. Jene Lebensformen, die Krisenphänomene verdrängen, werden letztlich ebenso misslingen wie jene, die nicht an ihre Fähigkeit glauben, etwas gestalten zu können.
Nüchtern betrachtet ist es das, was die Existenzkrise des Klimawandels aufzeigen wird: ob unsere Lebensform funktionsfähig ist, ob sie in der Lage ist, auf die Probleme der Erderwärmung, des Abschmelzens der Eisschilde, des Anstiegs des Meeresspiegels, des Verlusts der Artenvielfalt, also die Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen zu reagieren – oder ob wir an unserem kollektiven Reflexionsdefizit scheitern.
Die Freiheit ist bei den Liberalen zum leeren Signifikanten geworden, der zwar noch zitiert wird, aber nicht mehr gefüllt mit Substanz.
Nun liesse sich wohlwollend annehmen, dass jene politische Tradition, die sich selbst als besonders rational und innovationsfreudig versteht, auch besonders geeignet wäre, mit solchen Krisen umzugehen. Es mutet wie eine ironische Verkehrung der eigenen Ideengeschichte an, dass ausgerechnet der Liberalismus im Angesicht der Klimakrise undynamisch und lernblockiert daherkommt.
Anstatt eine realistische Einschätzung der Klimakrise zu gewinnen, wird deren Dramatik wegmoderiert, um denen, die dringende, komplexe Reformen fordern, unrealistische, unterkomplexe Panikmache zu unterstellen. Anstatt nüchtern die Klimaforschung zu analysieren und nach politischen Instrumenten zu suchen, werden die Möglichkeiten des gesellschaftlichen Lernens, der diskursiven Vermittlung notwendiger Veränderung ideologisiert als «Umerziehung».
Keine Umerziehung
Das Erstaunlichste ist vielleicht, wie der heutige politische Liberalismus mit einem Repertoire an populistischen Trigger-Begriffen wie «Verbot», «Askese» und «Verzicht» das eigene Reflexionsdefizit zu maskieren sucht.
Was ist aus dem Liberalismus geworden, dessen Freiheitsbegriff einmal mehr war als blosse Deregulierung des Marktes, dessen Freiheitsbegriff noch seine eigenen Bedingungen mit zu verhandeln wusste, dessen Freiheitsbegriff mehr meinte als technisch-konsumistische Selbstoptimierung der Person? «Individuelle Selbstbestimmung ist (...) konstitutiv für unser Selbstverständnis ebenso wie für unsere Idee von Recht und Politik», schreibt die Philosophin Beate Rössler, «in dem Sinn, dass wir nachdenken können, was wir wirklich wollen im Leben.»
Was die ökologische Bewegung weltweit artikuliert, ist eben keine Umerziehung, sondern ist Ausdruck ihrer aufgeklärten Autonomie. Fridays for Future symbolisiert nichts stärker als einen Freiheitswillen, der sich nicht zwingen lassen will in eine Lebensform, die nicht nur ausbeuterisch Ressourcen vernichtet, sondern die schlicht dysfunktional und nicht überlebensfähig ist.
Begriff ohne Substanz
Was neuerdings als vermeintlich antiliberaler «Verzicht» abgewertet wird, ist das, was früher einmal «Wahl» hiess und Grundelement jeder liberalen Erzählung war. Wir können wählen, wie wir leben wollen, wir können mitbestimmen, welche Art der Landwirtschaft, welche Form der Mobilität wir als Gesellschaft wollen, wir können mitbestimmen, ob und wie wir teilen und umverteilen wollen, wir können mitverhandeln, was für uns ein freies, solidarisches und gerechtes Leben bedeutet, lokal und global. Und ja, es lässt sich auch autonom entscheiden, etwas nicht zu wollen. Bewusster Dissens kann so Ausdruck von Freiheit sein wie Bestätigung von Entfremdung.
Vielleicht erklärt das die Paralyse der Liberalen der Gegenwart: dass ihnen in Fridays for Future vorgeführt wird, was ein anspruchsvoller Begriff von Freiheit, von dem man sich selbst schon längst verabschiedet hat, bedeuten könnte. Die Freiheit ist bei den Liberalen zum leeren Signifikanten geworden, der zwar noch zitiert wird, aber nicht mehr gefüllt mit Substanz. Wer keinen Begriff des Politischen mehr hat, der nicht vom Ökonomischen durchzogen ist, wer keinen kollektiven Gestaltungswillen mehr hat, weil das schon zu viel der Regulierung bedeutet, und nur noch «Technikoffenheit» vor sich herträgt, der macht sich trostlos überflüssig.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch
Die Klimabewegung entlarvt den Liberalismus
Er verstand sich einst als rational und innovativ. Jetzt erweist er sich als starr und lernblockiert.