Die Kleidersorgen nach dem Rücktritt
Das Eishockey lässt Florence Schelling auch nach dem Karriereende nicht los.

Neo-Trainerin Freitag, 17 Uhr. Es ist der Zeitpunkt, in dem für Abertausende das Wochenende beginnt. Florence Schelling sitzt im «Frau Gerolds Garten», hat vor sich einen Eistee und lacht bei der Frage, ob sie sich nun auch auf freie Tage freuen könne: «Bedingt. Ich werde Dokumente für meine erste Woche als Assistenztrainerin der U-18-Nationalmannschaft lesen, auch das Playbook studieren.»
Sie kennt es nicht anders: Wenn andere die Beine hochlagern, geht es für sie weiter. So war es 15 Jahre lang als Torhüterin an der Northeastern University, bei Brampton Thunder, den Männern von Bülach und die letzten drei Jahre in Linköping, als Studentin, die regelmässig auch arbeitete - und natürlich als «ewiger Rückhalt» des Frauen-Nationalteams, für das sie 190 Länderspiele absolvierte. Gefehlt hat der Tochter aus einer Hockeyfamilie die Freizeit nie: «Ich habe immer alles gut unter einen Hut gebracht.»
«Es war schlicht unglaublich»
Zwei Monate sind seit ihrem Rücktritt vergangen. 29 ist sie zwar erst, mehr als ein halbes Leben stand sie aber im Fokus der Öffentlichkeit. 13 war sie, als sie ihr erstes Länderspiel bestritt, und den Platz im Nationaltor gab sie nie mehr ab. 11 Weltmeisterschaften und 4 Olympische Spiele bestritt sie, gekrönt von Bronze in Sotschi 2014 und an der WM 2012. «Es fällt mir heute noch schwer, die Erlebnisse von Sotschi in Worte zu fassen, das war schlicht unglaublich. Für mich, für das Team, für den gesamten Schweizer Sport.»
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Video: So feierte Schelling 2014 ihre Bronzemedaille
In Sotschi schafften die Hockey-Frauen historisches. Video: Tamedia
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Über all die Jahre war sie nicht nur die «Miss 60 Prozent» des Nationalteams, die aus einer guten eine überdurchschnittliche Equipe machte, sondern auch das Gesicht. Auf dem Eis stand stets sie im Fokus, neben dem Eis war in Interviews vor allem ihre Meinung gefragt. Gestört hat sie das nie: «Sportlich galt für mich sowieso: Je mehr Schüsse auf mich kommen, desto besser. Und es gibt immer Leute, die von den Medien mehr gefragt sind, ich habe das immer gerne gemacht.»
Viel Zeit, um nachzudenken
Dass es nicht weitergehen würde, hatte sich abgezeichnet. Ambitionierte Eishockey-Frauen denken immer in olympischen Zyklen, und wenn sie einen weiteren gemacht hätte, wäre sie nach dem Turnier in Peking im Jahr 2022 schon fast 33 gewesen. Der Gedanke ans mittelfristige Aufhören war vor allem 2016 während ihrer schweren Knieverletzung gereift. «Da hatte ich viel Zeit zum Nachdenken.»
Und so endete diesen Frühling eine grosse Karriere, nach einer letzten von drei Saisons in Linköping, in der sie noch einmal astronomische Fangquoten erreichte. Unmittelbar danach, als sie in Schweden auch noch ihre Masterarbeit eingereicht hatte, packte sie ihre Koffer. Eine USA-Rundreise, Hawaii, zuletzt noch Amsterdam und Familienferien in der Schweiz. Allzu viel Zeit, Sport im klassischen Sinne zu treiben, blieb nicht. Vermisst hat sie es nicht: «Beim Wandern und Sightseeing kommt schon auch etwas zusammen.» Rechtzeitig zurück auf die Hockey-Awards, wo sie für ihren «prägenden Einfluss» ausgezeichnet wurde, ist sie vor zwei Wochen ins Berufsleben zurückgekehrt, sie absolviert in Zürich ein sechsmonatiges Praktikum bei Ernst & Young.
Proaktiv auf die Dozenten zu
In dieser Woche erfolgt zusätzlich die Premiere als Assistentin des U-18-Nationalteams beim Vierländerturnier in St. Gallen. Sie habe schon länger darüber nachgedacht, dereinst ins Trainermetier einzusteigen, «aber so schnell und gleich auf dieser Stufe war dies nicht geplant». Ein SMS von U-18-Nationaltrainer Steve Huard während ihrer USA-Zeit mit der Bitte um einen Anruf beschleunigte den Prozess. Sie brauchte nicht lange, um sein Angebot anzunehmen: «Ich habe ihn in Pyeongchang kennen gelernt und bin überzeugt, dass ich von ihm taktisch viel lernen kann.»
Wer über all die Jahre solche Doppelbelastungen aushält wie Schelling, der muss über einen starken Willen und aussergewöhnliche Organisationsfähigkeiten verfügen. «Ich war immer sehr diszipliniert und strukturiert», sagt sie. Vor Semesteranfang jeweils hat sie alle akademischen und sportlichen Verpflichtungen angeschaut und mögliche Konfliktpunkte ausgemacht. Danach ging sie auf die Dozenten zu und machte sie auf die Problematiken aufmerksam. Immer wieder hat sie diese durch eine eher seltene Grundhaltung beeindruckt, sagt sie und lächelt: «Ich habe ihnen dann jeweils gesagt, ich hole die Prüfung vor oder gebe eine Arbeit vorzeitig ab. So sahen sie, dass ich mich nicht durchmogeln wollte.»
Die Frage der 1000 Stücke
Auch wenn die Agenda nun etwas weniger voll ist, langweilig wird es ihr auch künftig nicht. Im Beruf Fuss zu fassen, steht auf Platz 1 der Prioritätenliste, dann die Tätigkeit bei der U-18. Und wenn noch Freizeit bleibt, dann «freue ich mich auf Skifahren und andere Hobbys».
Und schliesslich hat sie noch ein zusätzliches Projekt: Sie hat beschlossen, alle Kleider und Accessoires, die sie während ihrer Aktivlaufbahn erhalten hat, für wohltätige Zwecke abzugeben. In 15 Jahren ist einiges zusammengekommen, «ich würde schätzen, es sind weit über 1000 Stücke». Da kein unmittelbarer Wohnungswechsel geplant ist, ein durchaus weiser Entscheid: Neue werden schon diese Woche hinzukommen.
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