Die Gurlitt-Bilder sind da!
Erste Werke aus dem Nachlass des Nazi-Kunsthändler-Sohns Cornelius Gurlitt sind am Freitag im Kunstmuseum Bern präsentiert worden.
Die behandschuhten Hände greifen nach dem Karton, heben ihn an, und noch ehe der darunterliegende Holzschnitt vollständig abgedeckt ist, klicken Dutzende Fotokameras. Die schreibende Zunft schlägt aufgeregt die Notizblöcke auf, und jeder versucht, einen freien Blick auf das «Melancholische Mädchen» (1922) von Ernst Ludwig Kirchner zu erhaschen.
Ein ungewöhnlicher Museumsmoment, vermag Druckgrafik in der Regel die Massen doch um einiges weniger zu begeistern als ein Gemäldereigen. Wir befinden uns im Kunstmuseum Bern, und das allererste Bild aus dem Nachlass Cornelius Gurlitts erblickt nach Jahrzehnten im Versteckten und nach einem langjährigen Erbstreit endlich das Licht von Bern.
Insgesamt 150 Werke, die das Museum 2014 vom Sohn des einstigen Nazi-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt geerbt hat, haben den Weg von Deutschland über die Grenze geschafft – mit einer Woche Verspätung. Aufgrund von Formalitäten erwies sich die Einfuhr als kompliziert: Das Berner Museum ist zwar Besitzerin der Kunst, aber keine deutsche juristische Person.
Nun liegen sie da, fünf Grafiken von Kirchner, Otto Mueller, Otto Dix und August Macke sowie das Gemälde «Maschka» von Mueller, eben erst ausgepackt. Der Rest steckt noch in Holzkisten, welche die Wände säumen. Viel wurde über ihren Wert seit ihrer Entdeckung geschrieben.
«Das Gurlitt-Konvolut umfasst weder die bedeutendsten Meisterwerke-Highlights, wie anfangs angenommen, noch ausschliesslich zweitrangige Druckgrafik. Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte», fasst Museumsdirektorin Nina Zimmer zusammen.
Für den ersten öffentlichen Auftritt haben Zimmer und ihr Team repräsentative Arbeiten des deutschen Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit ausgewählt, also aus jenen Stilgebieten, auf denen sich Hildebrand Gurlitt als Sammler besonders profiliert hat. Sie werden alle Teil sein der ersten Gurlitt-Ausstellung.
Diese eröffnet im November und wird den Themenbereich «entartete Kunst» abdecken, während sich zeitgleich in Bonn eine Schau der Raubkunst widmen wird. Im Anschluss wird die deutsche Ausstellung in Bern gezeigt.
Dafür werden Werke, die unter Raubkunstverdacht stehen, als Leihgaben eingeführt – denn das Museum übernimmt bekanntlich nur Bilder aus der Erbmasse, deren Herkunft geklärt ist. Für die entsprechenden Nachforschungen sind die museumsinterne Abteilung Provenienzforschung, vor allem aber das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Berlin zuständig.
Ausser Reichweite von Tageslicht hat Cornelius Gurlitt die Bilder gehortet, teils in Mappen, teils hinter Tapeten. Das ist einigen Werken gut bekommen, etwa Mackes Gouache «Landschaft mit Segelbooten» (1913/1914): Die Farbe leuchtet, als wäre sie eben erst aufgetragen worden.
Zeigen Sie uns Bilderschäden!
Doch das Unproblematische interessiert im Fall Gurlitt wenig. «Zeigen Sie uns Schäden!», fordert die Journalistenschar. Eine Konservatorin deutet auf einen Riss in der blauen Aquarellfarbe, die Muellers «Liegender weiblicher Akt am Wasser» dominiert. Wieder klicken nervös die Kameras. Alle wollen ihn sehen, den mikroskopischen Bildfehler.
Bearbeitet werden die Bilder vom Restaurierungsteam unter Leitung von Nathalie Bäschlin und von Studierenden der Hochschule der Künste Bern. Sie arbeiten für einmal nicht im stillen Kämmerlein, sondern im Ausstellungsraum, der ab dem 18. August zum öffentlichen Schauatelier umgenutzt wird.
Von Schimmel befallene Werke werden in einem separaten Schutzraum gereinigt. Dort hat eine Restauratorin bereits die Arbeit aufgenommen. Sie beugt sich über ein Bild und arbeitet mit ruhiger Hand. Der Medienwahnsinn ausserhalb der schützenden Plastikwände scheint sie nicht zu beeindrucken.
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