Die Grosszügigkeit der Pianistin
Wenn Martha Argerich in Zürich auftritt, ist der Saal rappelvoll. Zu Recht.

Es gibt Namen, die füllen jeden Konzertsaal, sobald sie auf einem Programm auftauchen – ganz egal, was dieses Programm enthält. Einer dieser Namen gehört der argentinischen Pianistin Martha Argerich, mittlerweile 76 Jahre alt und immer noch verblüffend jung. Sie weiss ihn zu nutzen: nicht für sich, nicht für die eigene Legende – sondern für andere.
In Lugano etwa hat sie jahrelang das Progetto Argerich betrieben, bei dem sie dem Publikum junge Pianistinnen und Pianisten vorstellte. Nun kam sie im Rahmen des Meisterinterpreten-Zyklus in die Tonhalle Maag, zusammen mit der Kremerata Baltica: jenem Kammerorchester also, das ihr Verbündeter Gidon Kremer vor zwanzig Jahren gegründet hat. Es ist ein gutes, originell programmierendes Orchester, das es allein allerdings kaum zum Status «ausverkauft» geschafft hätte.
So aber hörte das Publikum zunächst einmal «Symphone», ein 1998 uraufgeführtes Werk des estnischen Komponisten Lepo Sumera, das fast ohne Melodien auskommt (wenn man die wimmernden Läufe der Violinen nicht zählt), aber ein raffiniertes Spiel mit abrutschenden, zusammenstossenden, sich immer wieder neu stabilisierenden Klangflächen spielt. Es folgte Felix Mendelssohns berühmtes Oktett in einer Fassung für Kammerorchester, in dem die Kremerata vor allem ihr Flair für die ganz leisen Töne vorführte. Im Allegro con fuoco liess man die Flammen eher züngeln als lodern, ehe man im Scherzo den Superlativ «legierissimo» wörtlich nahm: Der Klang war da wirklich in Mikrogrammen dosiert.
Gestreichelte Tasten
Zwischendurch hätte man sich durchaus ein wenig ungebremste Energie gewünscht. Oder eben: schon mal ein bisschen Argerich. Aber noch hiess es warten. Nach der Pause folgte Chopin, die Mazurka op. 17/4 und die Nocturne op. 62/2 – aber ohne Klavier, in einem Kammerorchester-Arrangement von Victor Kissine, der öfters mit der Kremerata zusammenarbeitet. Es sind geschickte Bearbeitungen, vor allem die Mazurka klingt grandios plüschig; dies umso mehr, als das Orchester die Rubato-Kunst der Verzögerung und der Beschleunigung, die ein Pianist solistisch ausreizen kann, auch im Kollektiv virtuos beherrscht.
Dann kam sie. Steuerte zum Flügel. Rückte energisch den Stuhl zurecht und griff zu: Genau so, wie es Liszts Klavierkonzert Nr. 1 verlangt. Dass auch dieses Werk in einer reduzierten Version für Streichorchester und Triangel gegeben wurde, spielte keine Rolle; Martha Argerich ging aufs Ganze. Das Orchester hielt mit, entfesselt, entflammt und genau so geschmeidig, wie die Pianistin es vorgab.
Das war das Auffälligste an dieser Interpretation: wie beweglich und kommunikationsfreudig die Darbietung war. Immer wieder drehte sich Argerich zu Orchestermusikern um, suchte den kammermusikalischen Austausch. Sie war es, die die entscheidenden Impulse gab: mal mit Kraft, mit Härte gar; dann wieder so leicht und weich, als würde sie die Tasten nur streicheln. Wo immer es das Werk erlaubte, liess sie den Flügel singen – sozusagen in Vorbereitung auf die Zugabe, die mit Liszts Version von Schumanns Lied «Widmung» passend zum Programm eine weitere Bearbeitung brachte. Es war noch ein Beleg dafür, wie klar, sinnlich und grosszügig Argerich zu gestalten weiss.
Am 2. Mai wird sie übrigens bereits wieder in der Tonhalle Maag auftreten, mit drei jungen Musikerinnen. Der Saal wird zweifellos voll sein.
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