Die grössten Wendehälse sind in der EVP und GLP
Welches sind die grössten Wendehälse im bernischen Kantonsparlament? Ein Jahr vor den Erneuerungswahlen zeigt unsere Analyse: Auf dem unrühmlichen Podest stehen eine EVP-Grossrätin und zwei GLP-Grossräte.
Eigentlich ist es einfach: Politiker werden dafür gewählt, eine gewisse Position zu vertreten. Links, rechts, konservativ, liberal: Jeder Politiker sollte seine Linie haben. Eine wichtige Orientierungshilfe für die Wähler liefern jeweils die Antworten der Kandidaten auf der Plattform Smartvote. Haben die Politiker dann erst mal den Sprung in ein Parlament geschafft, so darf erwartet werden, dass sie auch tatsächlich jene Positionen vertreten, für die sie vorher eingestanden sind. So weit die Theorie.
In der Praxis jedoch verhält sich manch Volksvertreter anders – auch im Kanton Bern. Dies zeigt eine Auswertung der Politologen von Smartvote. Sie haben für diese Zeitung analysiert, wie wankelmütig die Berner Grossrätinnen und Grossräte während der laufenden Legislatur sind. Von den 60 Smartvote-Fragen für die Wahlen 2014 machten die Politologen 15 ausfindig, zu welchen seither analoge Abstimmungen im Grossen Rat stattgefunden haben.
Das Resultat: Slalomfahrer und Windfahnen sind in allen Parteien zu finden – besonders häufig aber in der GLP. Auf dem unrühmlichen Podest stehen denn auch eine EVP-Grossrätin und zwei GLP-Grossräte (siehe Tabelle). Alle drei waren 2014 Neulinge im Parlament.
Unwissen vor der Wahl
Den Spitzenplatz belegt Christine Grogg (EVP, Bützberg). Sie wechselte in 65 Prozent der analysierten Fragen ihre Meinung. Bevor sie im November 2014 in den Grossen Rat nachgerutscht war, gab sie etwa an, dass sie gegen eine Offenlegung der Parteienfinanzierung sei. Als es ein halbes Jahr später ans Eingemachte ging, stimmte sie einem entsprechenden SP-Vorstoss hingegen zu.
Dasselbe bei der Unternehmenssteuer: Vor ihrer Wahl war sie gegen eine Senkung, zwei Jahre später dafür. Und bei der Frage nach einem Verkauf der Aktienmehrheit des Kantons an der BEKB schliesslich antwortete Grogg bei Smartvote, einen solchen zu unterstützen. Im Parlament jedoch machte sie einen Rückzieher.
Die EVP-Grossrätin begründet die vielen Abweichungen damit, dass sie den Smartvote-Fragebogen aus dem hohlen Bauch ausgefüllt habe. «Ich habe mich zuvor kaum mit Kantonspolitik beschäftigt», sagt Grogg. Als Parlamentarierin sehe man manches anders als zuvor. «Mir waren beispielsweise die parteistrategischen Spielereien völlig fremd. Jetzt bin ich klar dafür, dass die Parteienfinanzierung offengelegt werden soll.» Zudem müsse man sich im Parlament auch nach gewissen Rahmenbedingungen richten, etwa Gesetzesgrundlagen berücksichtigen. Das habe sie im Vorfeld unterschätzt. «Ich war mir auch der Tragweite mancher Fragen schlicht nicht bewusst», sagt sie.
Zwei GLPler auf Rang zwei
Knapp hinter Christine Grogg auf Rang zwei der wankelmütigsten Grossräte befinden sich gleich zwei Personen von der GLP: Michel Rudin (Lyss) und Martin Egger (Frutigen). Beide haben in 62,5 Prozent der berücksichtigten Fragen ihre Meinung geändert. Rudin sagte vor seinem Eintritt etwa, dass er die integrative Schule ablehne.
Einer SVP-Motion, die diese rückgängig machen wollte, stimmte er trotzdem nicht zu. Auch bei der Erhöhung der Klassengrössen änderte Rudin seine Ansicht. Zwar antwortete er bei der entsprechenden Smartvote-Frage, dass er diese nicht befürworte. Ein Moratorium für die Erhöhung der Klassengrössen half er aber wenige Monate später zu versenken.
Auch Martin Egger änderte oft seine Meinung – etwa bei der Frage erneuerbare Energien gegen Umwelt- und Landschaftsschutz. Bei Smartvote gab er an, dass der Schutz zugunsten von Wind-, Solar- und Wasserkraftwerken gelockert werden soll. Die Standesinitiative, die eine Schwächung des Moorlandschaftsschutzes zugunsten erneuerbarer Energien ermöglichen wollte, unterstützte Egger aber nicht. Vor seiner Wahl war er zudem der Ansicht, dass es zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit keine erhöhte Polizeipräsenz braucht. Ende letzten Jahres stimmte er einer solchen dann zu.

Kritik an Smartvote
Michel Rudin erstaunt sein Resultat nicht. «Als Mittepolitiker muss man Kompromisse schmieden und eine gewisse Flexibilität beweisen», sagt er. Man lerne aber auch stets dazu. «Gerade als junger Grossrat darf man seine Meinung auch mal revidieren», findet Rudin, der 2014 bei seiner Wahl 28 Jahre alt war.
Schliesslich äussert der PR-Mann auch Kritik an der Plattform Smartvote. Diese stelle die Politik und die Meinungsfindung als zu einfach dar. «Ich werde mir auch in Zukunft herausnehmen, nicht nach einem computergestützten Objektivierungsprozess abzustimmen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen», so Michel Rudin. Er hoffe, dies werde von seinen Wählern entsprechend goutiert.
Auch Martin Egger begründet die Abweichungen mit seiner Politikunkenntnis vor seiner Wahl 2014. «Wenn man sich dann intensiv mit den Themen beschäftigt, kommt man manchmal zu anderen Schlüssen als noch zuvor.» Dies sei etwa bei der Frage nach mehr Polizeipräsenz der Fall gewesen. «Als Laie denkt man, dass es überall Polizei hat und nicht noch mehr braucht.» Nach den Krawallen rund um die Reitschule habe er aber seine Meinung geändert.
Parteisoldaten bei SP
Im Grossen Rat gibt es aber nicht nur Slalomfahrer, sondern auch linientreue Parteisoldaten: Am anderen Ende der Rangliste liegen sieben SPler, vier Grüne, zwei SVPler und ein EVPler. Sie alle sind nicht ein einziges Mal von ihrem Standpunkt abgewichen. Dies müsse aber nicht immer positiv sein, sagt Politologe Daniel Schwarz von Smartvote.
«Wenn Politiker mit Meinungsänderungen Hand bieten für Kompromisse, ist dies sinnvoll», sagt er. Ein Wendehals sei deshalb nicht zwingend ein schlechterer Politiker als ein ideologisch standfester. Es komme aber auf die Motive an, die jemanden dazu bringen, seine Ansichten zu ändern.
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