Die Geschichte eines hochbegabten Hochstaplers
Rüdiger Schaper hat eine Biografie über Konstantin Simonides geschrieben – den bekanntesten Fälscher antiker Handschriften im 19. Jahrhundert.
Der grosse deutsche Naturforscher und Denker Alexander von Humboldt nannte ihn einst einen «rätselhaften» Menschen, den man respektieren müsse. Konstantin Simonides war ein Meisterfälscher, ein hochbegabter Künstler, der sich in seinen Fälschungen und «Arbeiten» ein eigenes Universum schuf. Hunderte antike Dokumente soll er zu Lebzeiten gefälscht haben. Simonides-Fälschungen besitzen heute ihren eigenen Wert auf dem Kunstmarkt. Als teure Kuriositäten tauchen sie gelegentlich auch in Auktionen auf.
Seine Kunst lernte er im Kloster
Im Jahr 2008 sorgte Simonides erneut für Schlagzeilen, als der italienische Wissenschaftler Luciano Canfora den Artemidor-Papyrus, der von einer Turiner Bank für 2,6 Millionen Euro gekauft und in einer Ausstellungstour in mehreren europäischen Städten gezeigt worden war, für eine Fälschung von Konstantin Simonides erklärte. Obwohl sich der Papyrus nachträglich als echt erwies, blieb der Name des angeblichen Fälschers im Gedächtnis hängen.
Rüdiger Schaper, Leiter des Kulturressorts des Berliner «Tagesspiegels», hat nun erstmals eine Biografie über den geschicktesten und schamlosesten Fälscher von Handschriften und Papyrusrollen im 19. Jahrhundert geschrieben. Seine Recherchen führten ihn zum Berg Athos, nach Thessaloniki und Athen, schliesslich nach London und Leipzig.
Seine biografische Erzählung liest sich wie ein packender Kriminalroman. Gleichzeitig macht sich der Autor in seinem Buch einige gute Gedanken darüber, wie Geschichte entsteht und wie sie von Menschen gemacht wird.
Konstantin Simonides wurde 1820 auf der griechischen Insel Symi an der kleinasiatischen Küste geboren. Sein Vater, ein angesehener Arzt, schickte ihn als Zehnjährigen auf die Insel Ägina, wo er eine klassische Bildung erhielt. Von einem Mönch namens Benedikt, einem Freund seines Vaters, wurde er während seiner Kindheit sexuell missbraucht. Nach einem missglückten Giftattentat auf seinen Vater und seine Stiefmutter wurde er 1836 auf den Berg Athos verbannt. In den Klöstern und Bibliotheken der Mönchsrepublik lernte Simonides seine besondere Kunst: den Umgang mit alten Manuskripten.
1848 tauchte Simonides in Athen auf. Er schmückte sich mit akademischen Ehren der Universitäten von Moskau und Odessa und gab ein Konvolut von Pergamenten mit angeblichen Schriften von Homer, Hesiod, Pythagoras, Sappho und Anakreon heraus. Gleichzeitig veröffentlichte er die Geschichte der Schule von Symais, einer bislang unbekannten Gruppe von Philosophen, Mathematikern und Ingenieuren, die bereits im 4. Jahrhundert nach Christus das Papier, das Teleskop sowie ein mit Dampf und Quecksilber betriebenes Schnellboot erfunden haben sollen. Die fantastischen Erzählungen des Simonides sind vergleichbar mit denjenigen eines Jules Verne.
Seine Fälschungen sind echte Kunstwerke. Er gab die Texte jedoch als Schöpfungen unbekannter antiker Autoren aus und präsentierte sich selber als deren Entdecker, Herausgeber und Übersetzer.
Die Odyssee des Simonides
Der Schwindel flog schnell auf. Simonides verliess Athen und begab sich in den folgenden Jahren auf eine abenteuerliche Reise quer durch Europa. Seine Odyssee führte ihn über Konstantinopel nach Paris, London und Leipzig. Für seine Fälschungen benutzte er echte Papyrusfragmente, um darauf mit blasserer Tinte vorgeblich ältere Texte zu schreiben. Das Erfolgsrezept seiner Täuschungsmanöver lag darin, dass er unter die gefälschten Handschriften immer wieder einige Originaltexte mischte. In England besuchte er das British Museum und die Bibliothek der Universität Oxford. In einem gewissen Sir Thomas Philipps, einem exzentrischen Büchernarren, der nach seinem Tod über 70'000 Werke und etwa genauso viele Handschriften hinterliess, fand er einen bereitwilligen Kunden.
1855 war Simonides in Leipzig, wo er ein «Palimpsest von 70 Blättern mit der ägyptischen Königsgeschichte des Uranios» präsentierte. Ein Jahr darauf wurden die Uranios-Fragmente von Wilhelm Dindorf in Oxford herausgegeben. Bald darauf entzündete sich jedoch ein gewaltiger Skandal um die Echtheit dieser Fragmente. Der einflussreiche deutsche Altertumsforscher und Theologe Konstantin Tischendorf erklärte sie für eine blanke Fälschung. Simonides wurde verhaftet, ins Gefängnis gesteckt und kurze Zeit später aus dem sächsischen Staatsgebiet verbannt. 1859 erschien in London eine Biografie über ihn, verfasst von einem gewissen Charles Stewarts – hinter dem aber bald der wahre Autor erkannt wurde: Konstantin Simonides. Drei Jahre später veröffentlichte er im «Guardian» einen Brief mit der Behauptung, der von Konstantin Tischendorf 1844 im Katharinenkloster am Sinai entdeckte Codex Sinaiticus, der das gesamte Neue Testament samt dem als verschollen geglaubten Barnabas-Brief enthielt, sei seine eigene Erfindung. Nach einer heftigen Debatte über die Echtheit der Sinai-Bibel setzte sich Tischendorf durch.
Simonides tauchte unter und verliess England. Er kehrte in seinen Geburtsort Symi zurück und begab sich schliesslich nach Alexandria. Die letzten Lebensjahre verbrachte er zurückgezogen in einem Meteora-Kloster in Thessalien.
Rüdiger Schaper interpretiert Konstantin Simonides als ein Kind seiner Zeit. Die Simonides-Fälschungen wurden von einem Bedürfnis geweckt, das Mitte des 19. Jahrhunderts in ganz Europa allgegenwärtig war: Die Verehrung des Alten nahm groteske Züge an. Schaper charakterisiert das 19. Jahrhundert als eine Zeit der Abenteurer und Entdecker, der Sammler, Räuber und Betrüger. Der Norden füllte seine Museen mit den geplünderten Altertümern des Mittelmeerraumes und Arabiens. Zu den Beutezügen der kolonialen Archäologie gesellte sich eine Sehnsucht nach der Antike, die romantische Verklärung der Vergangenheit.
Täuschung als Grundbedürfnis
Ebenso interpretiert Journalist Schaper in seiner Biografie das Original als eine modern-romantische Idee, dessen entsprechendes Gegenstück die Fälschung ist – Täuschung und Selbsttäuschung erfüllen laut Schaper ein Grundbedürfnis des Menschen. Konstantin Simonides, der hochbegabte Fälscher, dient Schaper als ein Kronzeuge dafür, dass in der Geschichtsschreibung Forschung, Erfindung und Fälschung oft sehr nahe beieinanderliegen. Eine anregende, spannende und unterhaltsame Lektüre.
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