Die CVP und ihr Dilemma um die Heiratsstrafe
Mit 700'000 steuerlich benachteiligten Ehepaaren sieht die Partei gute Chancen für ihre Initiative. Wäre da nur nicht der konservative Ehebegriff.

Das Bundesgericht hat Ende April die Volksabstimmung von 2016 über die CVP-Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe für ungültig erklärt – ein Novum in der Geschichte der direkten Demokratie. Denn die Stimmberechtigten waren durch den Bund mit falschen Angaben zur Zahl der steuerlich benachteiligten Zweiverdiener-Ehepaare informiert worden. Nun hat der Bundesrat entschieden, dass er die Volksabstimmung nicht direkt wiederholt, sondern zuerst nochmals das Parlament einschaltet. Dies sei nicht zuletzt deshalb begründbar, weil auch das Parlament mit falschen Zahlen über die Volksinitiative beraten habe, sagte Bundeskanzler Walter Thurnherr am Freitag.
Dem Parlament bietet sich nun die Möglichkeit, mit einem indirekten Gegenvorschlag die steuerliche Benachteiligung von 450'000 Zweiverdiener-Ehepaaren – im Abstimmungsbüchlein war von nur 80'000 die Rede – zu beseitigen. Dann könnte die CVP die Initiative zurückziehen. Dies käme vielen in der Partei gelegen, weil mit der Initiative die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau in der Verfassung festgeschrieben und die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare verhindert würde. Dies will auch die CVP heute nicht mehr. Sie biete Hand für die «Ehe für alle», teilte die Partei mit.
Nur neun Monate Zeit
Doch die Zeit, um im Parlament einen Gegenvorschlag auszuarbeiten, ist äusserst knapp. Denn die CVP muss vor dem 27. Mai 2020 entscheiden, ob sie ihre Initiative zurückzieht oder dem Volk nochmals vorlegt. Damit ein Rückzug für die CVP möglich wäre, müsste das Parlament also bis im März eine Reform der Familienbesteuerung beschlossen haben, die den Anforderungen der CVP entspricht.
Tatsächlich sei die Zeit für eine solche Einigung knapp, bestätigt CVP-Ständerat Pirmin Bischof. Er ist Präsident der ständerätlichen Wirtschaftskommission (WAK), in welcher ein bundesrätlicher Vorschlag zur Beseitigung der Heiratsstrafe liegt. Der Bundesrat schlägt vor, dass das Steueramt die Steuerbelastung der Ehepaare in einer gemeinsamen Veranlagung und zusätzlich wie bei einem Konkubinatspaar berechnet. Das Ehepaar könnte dann die günstigere Variante wählen.
Bischof hat das Thema nächste Woche in der WAK traktandiert. Im August könnte die Kommission die Arbeit fortsetzen, sodass eine Beratung der Bundesratsvorlage durch den Ständerat im September möglich wäre. Allerdings müsste danach auch der Nationalrat mit einer Lösung auf Basis des Bundesratsvorschlags einverstanden sein, was eher unwahrscheinlich ist.
Caroni: «Ein Pyrrhussieg»
Denn SP, FDP, Grüne und GLP wollen das Problem der Steuerdiskriminierung mit der Individualbesteuerung lösen. Die Ehepartner würden dann wie alle anderen Steuerpflichtigen als Individuen besteuert. Gegen einen solchen Systemwechsel stemmen sich die Kantone, aber vor allem die CVP. Die CVP werde keine Lösung akzeptieren, die einen Schritt in Richtung Individualbesteuerung mache und nicht auf der gemeinsamen Besteuerung der Ehepartner beruhe, sagt Bischof. Sonst werde die CVP ihre Initiative nochmals zur Abstimmung bringen. Die CVP habe gute Chancen zu gewinnen, da nun klar sei, dass insgesamt rund 700'000 Ehepaare steuerlich benachteiligt seien. Denn zu den 454'000 Doppelverdiener-Paaren kämen noch rund 250'000 Rentner-Ehepaare.
FDP und SP wollen sich von der CVP nicht drängen lassen und drehen den Spiess um. Nur wenn die Partei die Individualbesteuerung akzeptiere, um die systematische steuerliche Diskriminierung aller anderen Lebensformen zu beenden, sei eine Lösung möglich, sagt FDP-Ständerat Andrea Caroni. Die FDP werde sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen. «Wenn die CVP die Individualbesteuerung nicht akzeptiert, kommt es halt nochmals zu einer Volksabstimmung», sagt SP-Nationalrat Beat Jans.
Falls die CVP ihre Initiative mit dem konservativen Ehebegriff jedoch erneut zur Abstimmung bringt, steht sie entgegen den eigenen Beteuerungen als Partei da, die die Ehe für alle auf Jahre blockiert. Für Caroni steht jetzt schon fest, dass «die Initianten mit dem Bundesgerichtsentscheid einen Pyrrhussieg erzielt haben».
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