Die Auferstehung der Veronica Schaller
Die städtische Kulturbeauftragte Veronica Schaller ist die am härtesten kritisierte Amtsperson von Bern. Warum eigentlich? Veronica Schaller macht neuerdings (fast) alles richtig. Das anerkennen selbst einstige Widersacher.

Medienauftritte sind nicht ihr Ding. Zu sehr fühlt sie sich in Bern falsch verstanden. Seit sie 2008 Vorsteherin der Abteilung Kulturelles wurde (heute: Kultur Stadt Bern), schlägt ihr ein eisiger Wind entgegen. 100 Tage nach ihrem Amtsantritt sagte sie: «Für Visionen bin ich nicht zuständig.»
Ein Satz, der wie eine Sperrgutmarke an ihr haften blieb. Das war nicht das, was die Berner von der aus Basel stammenden Kultursekretärin hören wollten. Danach wurde es nicht besser. Ihr Desinteresse an der allseits geforderten Kulturstrategie wurde ihr vorgeworfen. Ebenso die mangelnde Gesprächsbereitschaft. Heute sieht das anders aus. Beruht die zerrüttete Beziehung der Berner Kulturszene zu Veronica Schaller auf einem Missverständnis?
Neuer Blick durch neue Brille
Schaller willigt jedenfalls doch zum Interview ein. «Sie brauchen auch neue Pressebilder. Ich habe eine neue Brille!» Beim Treffen schaut die 61-Jährige der Fotografin genau auf das Display. «Ich bin ein Kontrollfreak», gesteht sie. Vor ihr liegt eine Liste, fast so lang wie der Fragebogen des Interviewers. Darauf hat sie ihre Erfolge der letzten Jahre notiert. «Sie haben mit der Frage nach Ihren grössten Erfolgen gerechnet?» – «Nein, die habe ich mehr zur Stärkung meines Selbstbewusstseins aufgelistet.»
Schallers Selbstironie ist etwas verschroben, aber durchaus charmant. Das Lachen ist ihr nicht vergangen, trotz der harten Kritik an ihrer Arbeit. Und schon gar nicht vergeht es ihr an diesem sonnigen Frühlingstag im Progrhof. «Es läuft gerade sehr gut», sagt sie. Seit einem Jahr hat Kultur Stadt Bern neue Büros im Meerhaus an der Effingerstrasse bezogen. Die längst fällige personelle Aufstockung hat Entlastung gebracht. «Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen», sagt Schaller.
Liberale Leistungsverträge
Eine zeitgemässe Haltung will sie auch in der Kulturförderung etablieren. Die Künstler möchte sie «weg von der Bittstellerrolle» bringen, sie sollen fordern, was für die Umsetzung ihrer Projekte nötig ist. «Ich würde mir wünschen, dass die Kulturschaffenden etwas grösser denken.» Dafür sei der Hauptstadtkulturfonds das geeignete Mittel. Dort gibt es eine Kredituntergrenze. Gesuche unter 60 000 Franken werden gar nicht erst beachtet. Die Idee: Ein Teil der freien Fördermittel soll für einmalige, herausragende Kulturprojekte genutzt werden.
Schaller ginge gerne noch weiter, sie plädiert für eine Liberalisierung der Subventionspolitik. Den detaillierten Forderungskatalog in den Leistungsverträgen möchte sie am liebsten streichen. Darin wird vonseiten der Geldgeber festgelegt, wie viele Produktionen etwa von einem Theater erwartet werden. «Ob jetzt zwölf oder dreizehn Stücke aufgeführt werden, ist doch nicht entscheidend», sagt sie. «Ich sehe die Vierjahresverträge mit den grossen Kulturinstitutionen als Vertrauensbeweis.» Die heutigen Vorgaben führten zu einem hohen Verwaltungsaufwand, den sie loswerden möchte. Doch an eine Vereinfachung sei derzeit nicht zu denken.
«Die Politik fordert mehr Zahlen, der Kanton und die Regionalgemeinden auch.» Andere Ideen haben in der Zwischenzeit an Sprengkraft verloren. «Dass die Institutionen einen Eigenfinanzierungsgrad von 20 Prozent erreichen sollen, ist nicht zu viel verlangt», sagt sie. Als sie das vor zwei Jahren verlangte, warf ihr Stephan Märki, Intendant von Konzert Theater Bern, «Planwirtschaft» vor. Mittlerweile erfüllt KTB die Vorgabe.
«Sie hat ein offenes Ohr»
Veronica Schaller zeigt also durchaus Debattierlust und Gestaltungswillen – doch aus kulturellen Inhalten hält sie sich nach wie vor heraus. «Die Politik ist für Visionen zuständig. Die Verwaltung setzt die politischen Vorgaben um.»
Unvorteilhaft sah es für Schaller zunächst aus, als Ex-Stadtpräsident Alexander Tschäppät gegen Ende seiner letzten Amtszeit 2015 das Dossier Kulturstrategie übernahm. Bei ihr lag es weit unten in der Präferenzenliste, er machte es zur Chefsache – und beauftragte Progr-Leiterin Franziska Burkhardt mit der Ausarbeitung. Letztes Jahr erhielten Schallers Kritiker die Strategie, die sie jahrelang verbissen gefordert hatten.
«Für Visionen bin ich nicht zuständig.» Der Satz blieb wie eine Sperrgutmarke an Veronica Schaller haften.
Eine Niederlage? Nicht für Schaller. Sie findet gar Gefallen am Papier: «Es ist nicht heisse Luft über Visionen und Ziele, sondern eine Strategie für die ganze Verwaltung, wie gute Voraussetzungen für die Kultur geschaffen werden können.»
Ausgerechnet die neue Kulturstrategie hat Druck von ihr genommen – und dazu beigetragen, dass Schaller heute befreit auftritt. Seit sie regelmässig Kulturszenegespräche führt, in denen Kulturschaffende Forderungen und Ideen platzieren können, hört man auch den Vorwurf der Gesprächsverweigerung nicht mehr. «Wenn man mit einem Anliegen zu ihr kommt, hat sie ein offenes Ohr und bleibt dran», rühmt Be-Jazz-Leiter Fabio Baechtold das persönliche Engagement der Kulturbeauftragten. «Schaller wird oft das fehlende Setzen von Schwerpunkten vorgeworfen. Ich ziehe aber die saubere, klare Art Schallers einer Verwaltung vor, die sich selbst verwirklichen will.»
Zusammen mit Bekult
Selbst Kritiker verstummen mehr oder weniger kleinlaut. Ex-Bekult-Präsident Christian Pauli findet, dass sich Kultur Stadt Bern «insgesamt bewegt» habe. Pauli hat Schaller in den letzten Jahren in den Medien mehrmals attackiert. «Was mir Pauli konkret vorgeworfen hat, ist mir bis heute schleierhaft. Wahrscheinlich fand er mich einfach doof», sagt Schaller. Vom neuen Bekult-Chef, Kornhausforum-Leiter Bernhard Giger, erhofft sie sich Zusammenarbeit. Gute Voraussetzungen dafür hat sie selbst geschaffen, indem sie im Kornhausforum eine neue Gesprächsreihe lanciert hat – bei der sie als Moderatorin auftritt.
Bei allem Engagement Schallers: War die Kritik in der Vergangenheit einfach haltlos? «In Sachen Kommunikation stimmten die Vorwürfe. Ich bereue es heute, dass wir die Szenegespräche nicht früher aufgegleist haben», sagt sie.
An Selbstbewusstsein mangelt es Schaller nicht, alles andere ist Koketterie. Was steht noch auf der Liste ihrer Erfolge? Die Fusion von Stadttheater und Berner Symphonieorchester etwa oder die Sanierung des Stadttheaters, beide Projekte hat sie in den Anfängen betreut.
Eine Niederlage bleibt aber schmerzhaft – und hat ihrem Ansehen in der Kulturszene vielleicht mehr geschadet, als es jede Kommunikationsoffensive wettmachen könnte: Die gescheiterte Fusion von Schlachthaus und Dampfzentrale. Synergien nutzen und die Administration entschlacken – das war ihre Idee. Die starken Berner Kulturlobbys wehrten sich nach Kräften und mit Erfolg. Schaller steht als kaltherzige Bürokratin da. Ein Missverständnis mehr.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch