Die Angst vor Afrikanistan
Die Rebellen wollen in Mali einen Gottesstaat errichten. Um dies zu verhindern, muss Frankreich alles daransetzen, zivile Opfer zu vermeiden.

Oumou Sall Seck weiss, wovon sie spricht. Die Bürgermeisterin von Goundam, einer Kleinstadt in der Nähe Timbuktus, musste Mitte April 2012 fliehen, als Tuareg-Separatisten und muslimische Extremisten ihre Stadt einnahmen. Sie errichteten ihr Scharia-Regime und liessen Goundam im Chaos versinken. «Ich bin ganz klar ihre Feindin», berichtete Oumou Sall Seck auf Radio France International. Sie war 2004 als erste Bürgermeisterin in Nordmali gewählt worden.
Oumou Sall Seck war erleichtert, als sie nun von den französischen Angriffen erfuhr. Kurz zuvor hatte sie in der «New York Times» gefordert: «Rettet Mali, bevor es zu spät ist.» Kein Verständnis zeigte sie für die Befürchtungen des UNO-Generalsekretärs, dass eine Militärintervention in einem humanitären Desaster enden könnte. «Wir haben das Desaster schon.»
Rebellion der Tuareg
Dessen Ursachen reichen allerdings weiter zurück. Seit Mali 1960 unabhängig wurde, haben die Tuareg immer wieder gegen die Zentralregierung im grünen Bamako rebelliert. Dabei hatten sie einen Verbündeten: Der libysche Diktator Muammar al-Ghadhafi gewährte den Rebellen auf den Kamelen immer wieder Zuflucht. Als sein Regime fiel, kehrten die Tuareg mit Geländewagen zurück, auf der Ladefläche ein schweres Maschinengewehr oder gar einen Raketenwerfer.
Wieder in Mali, verbündeten sie sich mit den «Verteidigern des Glaubens», den Ansar al-Din. Gemeinsam schmuggeln sie Waffen, Drogen und Zigaretten. Allein der Norden Malis wird von einer über 4400 Kilometer langen Grenze umfasst, die wegen ihrer schieren Länge unkontrollierbar ist, egal wie viele Drohnen und Satelliten man darüberfliegen lässt. Entsprechend lukrativ ist das Schmuggelgeschäft.
Spannungen mit den Nachbarn
Die Führung Malis blieb passiv respektive liess sich dafür bestechen, dass man die organisierte Kriminalität ignorierte. Dies wiederum führte zu Spannungen mit Mauretanien und Algerien, den beiden einflussreichsten Länder im Norden Malis. Dabei kann das grenzübergreifende Problem nur gemeinsam eingedämmt werden.
Das Gegenteil trat ein: Al-Qaida im islamischen Maghreb (Aqim), die ursprünglich aus Algerien in Mali einsickerte, machte mit den Rebellen gemeinsame Sache. Die Terroristen waren darauf spezialisiert, Geschäftsleute und Touristen aus dem Westen zu entführen und Lösegeld zu erpressen. Auch das spülte viel Geld in die Kriegskasse der Rebellen. Westliche Regierungen hätten mit ihren Lösegeldzahlungen zur Krise in Mali beigetragen, kritisiert die deutsche Stiftung für Wissenschaft und Politik.
Kinder müssen kämpfen
Rekrutierungssorgen kennen die Rebellen nicht: Sie zwingen Kinder zu kämpfen, wie Bürgermeisterin Oumou Sall Seck berichtet. Vor allem wird Mali zum Magneten für die sogenannt Heiligen Krieger. Angehörige der Terrororganisation Boko Haram aus Nigeria seien bereits da, meldet die BBC; Extremisten aus Algerien, Afghanistan, Somalia und Jemen seien unterwegs. Sie wollen in Mali ein Afrikanistan errichten, nach dem Vorbild der Taliban in Afghanistan.
Damit destabilisieren die Extremisten die ganze Region. Westafrika leidet seit Jahren an Hunger, weil die Niederschläge gering sind oder ganz ausbleiben; der Sahel trocknet aus. Das UNO-Welternährungsprogramm meldete am Dienstag, dass wegen des Kriegs in Mali eine halbe Million Menschen auf der Flucht sei. Unter diesen Bedingungen bleibt die Wirtschaft am Boden, und die Jugend findet keine Jobs. Umso leichteres Spiel haben die Islamisten mit ihrer Steinzeitideologie – auch in Malis Nachbarländern, die ebenfalls muslimisch sind. Um die Krise auf Mali zu beschränken, haben daher Niger, Senegal oder Nigeria ebenfalls Truppen entsandt, zumal sie teilweise Zehntausende von Flüchtlingen aus Mali aufnehmen müssen.
Malis Armee ist unfähig
Ohne Zweifel können mit Waffengewalt nur Symptome bekämpft werden. Aber die sind im Fall Nordmalis so gravierend, dass damit begonnen werden musste. Auch Oumou Sall Seck berichtet von den «gesetzes- und gottlosen Männern», die vergewaltigen, steinigen und den Kindern die Schule verbieten. Mali sei «ein Land ohne Streitkräfte, die die Bürger beschützen».
Dazu wären die 7000 schlecht ausgerüsteten Soldaten aber ohnehin nicht in der Lage gewesen. Malis Armee verfügt nur über einige Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg und ein Jagdflugzeug. Die Gegner im Norden setzen dagegen modernes Material aus Ghadhafis Beständen ein, unter anderem die sowjetische SA-7, eine infrarotgelenkte Luftabwehrrakete, die von der Schulter aus abgefeuert werden kann.
Ihr US-Pendant, die Stinger, setzten die Mujahedin einst erfolgreich gegen die Sowjetunion ein. Das ist Jahre her, und in Afghanistan haben die islamistischen Kämpfer ihren Hass längst gegen den Westen gerichtet. Auch gegen die französischen Streitkräfte, die sich dort am Nato-Einsatz beteiligen. Der Hauptstreitpunkt sind dort die vielen unschuldigen Opfer. Gelingt es in Mali, zivile Opfer möglichst zu vermeiden, besteht die Chance, dass Afrikanistan eine Utopie der Extremisten bleibt. Die Erfahrung von Afghanistan zeigt aber auch, wie hoch dieses Ziel gesteckt ist.
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