Der Wunsch nach einem neuen Image
Viele junge Leute wollen Balkanländer wie Montenegro oder Bosnien verlassen. Der Tourismus bietet eine Chance, das zu verhindern.
Im Sommer ist Reiseleiter Miljan Marsenic, 32, ununterbrochen auf Trab. Er lebt in Budva, Montenegro. Die Stadt ist das touristische Zentrum des Landes, eingerahmt von einer imposante Bergkulisse und einladenden Badestränden.
Abseits der gut besuchten Regionen ist die Wirtschaft jedoch oft marode. Wer in der Hochsaison nicht genug verdiene, habe es im Winter schwer, über die Runden zu kommen, sagt Marsenic. Neben seiner Tätigkeit als Fremdenführer vermietet Marsenic Autos, arbeitet für einen Limousinenservice und als Dolmetscher. «Jeder kämpft, jeder ist ein Künstler», sagt der Ehemann und Vater zweier Kinder. Viele Junge haben genug vom Kämpfen, von der Korruption und den schlechten Löhnen. Sie, das grösste Potenzial, wie Marsenic die Jungen nennt, wollen Montenegro verlassen. Das sei doch feige, sagt er frustriert.
Marsenic will bleiben. Sein Mantra: «Ich liebe mein Land, ich glaube an mein Land, mein Land braucht mich.» Nach den Konflikten der 90er-Jahre befinde sich Montenegro in einer wichtigen Zeit, der Zeit eines entscheidenden Neustarts. Marsenic, der studierte Germanist, der fliessend Deutsch spricht, will Teil davon sein.
«Es fehlt an jungen Leuten, die Ranger werden wollen»
Damit in Zukunft mehr Touristen kommen, hofft er auf ausländische Investoren, auch auf Samih Sawiris. Sawiris' «Luštica Bay» ist einer der luxuriösen Jachthäfen, die in den letzten Jahren um die Bucht von Kotor entstanden sind. Die Häfen und dazugehörigen Resorts sollen, ginge es nach Marsenic, nicht die Massen, sondern Leute anziehen, die viel Geld haben. «Reichentourismus» nennt er es.
Ganz bodenständig geht es derweil auf der anderen Seite der Grenze zu, im bosnischen Perucica-Wald. Dieser liegt im grössten und ältesten Nationalpark Bosniens, dem Sutjeska-Nationalpark. Die Besucherzahlen steigen. Das freut Nevena Novovic, 28. Sie arbeitet im Marketing des Nationalparks und führt als Rangerin Reisende aus der ganzen Welt durch den Wald. Der Nationalpark liegt ihr am Herzen. Seinetwegen kehrte sie nach ihrem Touristikstudium im serbischen Novi Sad zurück in ihre alte Heimat, in eine Stadt in der Region.
«Es fehlt an jungen Leuten, die Ranger werden wollen», sagt Novovic, die Ausbildungsmöglichkeiten seien begrenzt. Vielen fehle die praktische Erfahrung im Umgang mit Touristen, learning by doing bedeute das. Auch für sie sei das erste Jahr hart gewesen. Sie hatte sich an das Leben in der Studentenstadt Novi Sad gewöhnt.
Umfragen zufolge wollen zwei Drittel der jungen Leute Bosnien verlassen. Doch Novovic will bleiben. «Die Natur und der Park sind unser Potenzial.» Laufend werde die Infrastruktur ausgebaut. Genauso wichtig wie der Tourismus ist Novovic jedoch der Schutz der Pflanzen und Tiere. Der Perucica-Wald ist einer der letzten Urwälder Europas.
«Das Meer, die Berge, das Essen. Wir sind begeistert»
Auch in Montenegro ist die Balance zwischen Reiseboom und Naturschutz ein Thema. Zwar sind rund 10 Prozent der Fläche des Landes als Nationalparks geschützt – ein hoher Anteil im europäischen Vergleich. Aber der Tourismus fordert ausserhalb der geschützten Gebiete seinen Tribut.
«Ästheten werden leiden», sagt Marsenic, als der Car seiner Schweizer Reisegruppe auf die Küstenstadt Budva zufährt. In der hübschen Altstadt wird es im Sommer eng. Die Hälfte der zwei Millionen Reisenden, die Montenegro pro Jahr besuchen, kommt hierher. Die Apartments und Hotelanlagen im neuen Teil der Stadt – viel blaues Glas, viel Beige, wenig Klasse – fressen sich unaufhörlich in die umliegenden Wälder. Am Meer schiessen Villen für die vielen russischen Gäste aus dem Boden. Der Kapitän eines Ausflugsbootes meint dazu: «Früher hatte der Staat die Mafia, heute hat die Mafia den Staat», wobei die Grenzen in Montenegro oft fliessend seien.
Weit oben im Durmitor, einem Bergmassiv, das an den Sutjeska- Nationalpark in Bosnien grenzt, ist vom Trubel an der Küste wenig zu spüren. Marsenic wie Novovic wissen, dass gerade die Unberührtheit der Natur Touristen begeistert, auch jene aus der Schweiz.
Doch auf der Prioritätenliste von Schweizer Reisenden steht der Balkan nicht sehr weit oben. «Wir haben einfach noch nie an diese Destination gedacht», heisst es, oder: «Man denkt halt an die Bilder aus dem Krieg.» Marsenic hofft, dass dieses Image bald durch ein neues ersetzt wird, jenes, an dem er auch diesen Sommer wieder arbeitet und welches seine Schweizer Reisegruppe mit nach Hause nehmen wird. «Das Meer, die Berge, das Essen, die Menschen. Wir sind begeistert», hört man am Ende der Rundfahrt.
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