Wer darf Italiener werden?Der Weltstar auf Tiktok wundert sich über Post aus Rom
Italien debattiert mit viel Getöse über Einbürgerungen – mit Khaby Lame in einer prominenten Nebenrolle: Nachdem er berühmt geworden war, klappte es ganz plötzlich mit der Staatsbürgerschaft.

Khaby Lame wird Italiener. Khaby Lame? So heisst ein junger Mann aus Chivasso bei Turin, er ist ein Weltstar. Auf dem sozialen Netzwerk Tiktok folgen ihm 144 Millionen Menschen. Sie schauen sich da lustige, bedenkenswerte und manchmal scheinbar sinnentleerte Kurzvideos an, in denen Lame ganz ohne Sprache auskommt. Persiflagen, Parodien, Klamauk. Begonnen hat er damit zu Beginn der Pandemie, nachdem er seinen Job in der Fabrik verloren hatte. Niemand zählt mehr Follower, global. 144 Millionen – das ist mehr als zwei Mal die Bevölkerung Italiens. Und dieser Vergleich hat nun gewissermassen eine gesamtpolitische Bewandtnis.
Neulich meldete sich ein Staatssekretär aus dem Innenministerium bei ihm, via Twitter, wie man das heute eben so tut. «Caro Khaby Lame», schrieb er da, «ich wollte dich beruhigen, das Dekret für deine italienische Staatsbürgerschaft ist erlassen. Alles Gute!» Beruhigt? Nun, Lame liess ausrichten, für sich selbst und für alle anderen in seiner Situation: «Erst jetzt, wo ich berühmt bin, denken sie an meine Staatsbürgerschaft, vorher war sie allen egal.»
Als er neulich nach Amerika zu einer Konferenz fahren sollte, erhielt er kein Visum. Er wäre dort der Superstar gewesen.
Khabane Lame, wie er eigentlich heisst, kam in Dakar zur Welt, der Hauptstadt Senegals. Als er ein Jahr alt war, zog die Familie nach Italien. Die Kindheit, die Jugend, die Schulen, die Leidenschaften – alles hat er in Italien erlebt. Jetzt ist er 22, aber der italienische Pass kommt erst jetzt, mit Eilpost aus dem Innenministerium. Als er neulich nach Amerika zu einer Konferenz für Influencer reisen wollte, erhielt er kein Visum, weil das mit einem senegalesischen Pass kompliziert ist. Lame wäre einer der Superstars gewesen.
Seine Geschichte macht nun Schlagzeilen, weil im Parlament unter viel Getöse ein neuer Versuch läuft, das alte Einbürgerungsgesetz zu ändern: die «Legge 91» aus dem Jahr 1992. In Italien gilt «Ius Sanguinis», das Abstammungsprinzip also. Wer in Italien geboren ist und nicht mindestens einen italienischen Elternteil hat, muss bis 18 warten, um einen Antrag stellen zu dürfen. Die Prozedur dauert dann noch mal zwei, vier, sechs Jahre, manchmal noch länger.
Junge Menschen aus der zweiten Einwanderergeneration, die italienisch aufgewachsen sind, italienisch denken, fühlen, essen, oft nur Italien wirklich kennen, empfinden das als Verspottung. Viele Dinge werden ihnen verwehrt, das Stimmrecht etwa, die Teilnahme an öffentlichen Jobausschreibungen. Aber eben: «Ius Soli», das Recht des Bodens also, bei dem der Geburtsort zählt, ist der Rechten ein Gräuel, und zwar in jeder Form.
Nun also der Versuch über die Schule: «Ius Scholae». Aber die Rechte läuft Sturm. Die Lega hinterlegt 1500 Änderungsanträge.
Der neue Versuch der Linken nennt sich «Ius Scholae». Wer in Italien geboren ist oder vor 12 ins Land kam und mindestens einen vollen, fünfjährigen Schulzyklus absolviert hat hier, soll ein Recht auf die Staatsbürgerschaft erhalten. Den Antrag stellen die Eltern. Die Idee dahinter: Die Schule spielt nun mal eine zentrale Rolle bei der Integration, kulturell und sozial. 877’000 junge Menschen unter 18 könnten davon profitieren.
60 Prozent der Italiener sind dafür, das zeigen die Umfragen. Doch die Rechtspopulisten von der Lega und die Postfaschisten von Fratelli d’Italia sind ganz ausser sich. Ein verkapptes «Ius Soli» sei das. Über die Staatsbürgerschaft werde nach dem 18. Lebensjahr entschieden – und basta! Die Lega hat 1500 Änderungsanträge vorgelegt, um den Gang der Dinge zu bremsen. Unterdessen gilt halt mal «Ius Tiktok».
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