Der Störenfried am Hof der Supermächte
Der Schweizer Richter Daniel Kipfer Fasciati ist Ombudsmann im UNO-Sicherheitsrat. Er beurteilt, ob mutmassliche Gehilfen von al-Qaida oder dem IS zu Recht auf der Terrorliste sind.

Die abendliche Rushhour in Manhattan ist angebrochen. Tausende Menschen strömen aus den Bürotürmen und hasten zur nächsten U-Bahn-Station. Das Hupen nervöser Autofahrer mischt sich mit den Sirenen von Spital- und Feuerwehrautos. Der tagsüber bereits imposante Lärm der Grossstadt schwillt noch einmal an.
Daniel Kipfer Fasciati steht an diesem Abend beim Hauptsitz der Vereinten Nationen an einer Strassenecke und beobachtet das Gedränge. In der rechten Hand hält er einen Velohelm, auf dem Rücken trägt er einen Rucksack. Auch im Verkehrschaos in Manhattan fährt der gebürtige Baselbieter mit dem Velo.
In New York lebt und arbeitet der ehemalige Präsident des Bundesstrafgerichts seit gut einem Jahr. Der Bund hat ihn als Richter beurlaubt, um ihm die Möglichkeit zu geben, eine neue Stelle anzutreten. Der 58-Jährige ist Ombudsmann beim UNO-Sicherheitsrat.
Folgenschwere Liste
Daniel Kipfer Fasciati ist die Anlaufstelle für Menschen, die vom Sicherheitsrat für ihre finanzielle Unterstützung oder Tätigkeiten wie den Waffenhandel zugunsten von Terrororganisationen wie al-Qaida oder dem Islamischen Staat auf eine Sanktionsliste gesetzt wurden. Rund 350 Personen umfasst die Liste derzeit. Osama bin Laden und sein Sohn Hamza bin Laden standen darauf, bevor man sie tötete. Auf die Liste sind aber auch Personen gesetzt worden, bei denen sich im Nachhinein herausgestellt hat, dass die Einschätzung bereits von Anfang an falsch war oder die Voraussetzungen für die Sanktion unterdessen nicht mehr gegeben sind.
Wer auf der Liste steht, den hält der UNO-Sicherheitsrat für eine Gefahr für die Weltsicherheit. Für Betroffene hat das schwerwiegende Konsequenzen. Ihr Vermögen ist weltweit blockiert. Zudem dürfen sie das Land, in dem sie sich zum Zeitpunkt des Entscheids oder ihrer Festnahme aufhielten, nicht verlassen. Kipfer Fasciati vergleicht ihre Situation mit «einer Art Verhaftung als vorsorgliche Massnahme in einem Strafprozess». Allerdings ist die Massnahme nicht befristet. Nur eine Person kann ihnen aus dieser Situation hinaushelfen: der Ombudsmann. Wer von der Liste will, muss bei ihm ein Gesuch einreichen und die Streichung beantragen. Doch bis dahin ist es ein langer Weg.
Rechtlich ist die Stelle des Ombudsmanns notwendig, weil gerade europäische Gerichte Sanktionen des Sicherheitsrats nur umsetzen, wenn die betroffene Person die Möglichkeit hat, sie überprüfen zu lassen. Auch die Schweiz hatte sich vor zehn Jahren für die Schaffung der Stelle des Ombudsmanns eingesetzt. Politisch ist das Amt von Kipfer Fasciati aber alles andere als unumstritten.
Spontan beworben
Seine Kandidatur für den Posten beim Sicherheitsrat war ein spontaner Entscheid. Im Sommer 2017 entdeckte Kipfer Fasciati die Ausschreibung, einen Tag vor Ablauf der Bewerbungsfrist. Die Anforderungen waren: Unabhängigkeit, höchste moralische Standards, insbesondere im Umgang mit vertraulichen Informationen. Kipfer Fasciati bewarb sich im letztmöglichen Moment.
Doch dann passierte lange nichts. Die Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrats verhandelten neun Monate über die Besetzung des Postens. Warum? Was passierte während all dieser Zeit? Das seien Interna des Sicherheitsrats, über die er nicht reden dürfe, sagt der Schweizer.
Weil ihre Vermögen blockiert sind, konnten Sanktionierte bislang nur selten Anwälte anstellen.
Fast 15 Jahre lang war er Richter am Bundesstrafgericht. Auch seine Tätigkeit als Ombudsmann ist quasi richterlich. Dennoch ist er kein Richter, weil er formell keine Entscheidungen fällt, sondern Empfehlungen abgibt. Ebenso wenig übt er die Funktion eines Diplomaten aus. Vielmehr agiert er als eine Art Störenfried am Hof der Supermächte.
Der Sicherheitsrat verhängt eine Sanktion gegen eine Person auf Antrag eines einzelnen Mitglieds. Vorschläge werden hinter verschlossenen Türen präsentiert und besprochen. Der Rat muss die Massnahme am Ende nicht begründen. Das ist nicht unproblematisch. Nicht selten dienen unveröffentlichte Geheimdienstinformationen als Entscheidungsgrundlage. Nur EU-Staaten beantragen beim Sicherheitsrat Sanktionen gestützt auf nationale Strafverfahren.
Grosse Machtfülle
Damit der Sicherheitsrat eine Sanktion wieder aufhebt, sind umfangreiche Abklärungen und letztlich stichhaltige Argumente nötig. Beantragt jemand bei Kipfer Fasciati, von der Sanktionsliste gestrichen zu werden, muss er begründen, warum er nicht auf die Liste gehört, ohne aber die Vorwürfe im Detail und die Beweismittel zu kennen.
Der Ombudsmann beginnt daraufhin eigene Recherchen über den Gesuchsteller, unterstützt von zwei Mitarbeiterinnen. Ebenso schreibt er dessen Herkunftsstaat an, um sachdienliche Informationen zu erhalten. Dann trifft er sich zuerst mit dem Gesuchsteller in dessen Aufenthaltsstaat zu einem Gespräch, dann mit Behördenvertretern, in der Regel Polizisten, Geheimdienstlern, Gesandten aus Innen- und Aussenministerien oder nationalen Antiterrorkommissionen. Am Ende schreibt er einen Bericht und gibt dem Gesuchsteller die Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Bericht ist vertraulich. «Er enthält die sachliche und rechtliche Begründung des Antrags auf Streichung oder Weiterführung der Sanktion», sagt Kipfer Fasciati.
Vier Fälle hat er seit Amtsantritt abgeschlossen: Zwei Entscheide waren positiv, zwei negativ. In einem Fall ist der Bericht eingereicht, die Sache aber noch nicht entschieden. Fünf Gesuche sind hängig. Faktisch hat Kipfer Fasciati eine grosse Machtfülle, weil sein Antrag nur einstimmig von allen fünfzehn Mitgliedern des Sicherheitsrats umgestossen werden kann. Der Druck ist deshalb gross. «Ich bin exponiert. Meine Berichte werden aufmerksam gelesen. Im Sicherheitsrat wird erwartet, dass ich mit allen kommuniziere», sagt er.
Eine wichtige Änderung hat er bereits durchgebracht. Weil ihre Vermögen blockiert sind, konnten Sanktionierte bislang nur ausnahmsweise Anwälte engagieren. Nun hat sich eine Vereinigung von Strafverteidigern, die an internationalen Gerichten tätig sind, zur Verfügung gestellt, Mandate zu übernehmen. So bekommt jeder Gesuchsteller, wenn er dies wünscht, einen Anwalt zur Seite gestellt.
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