Der silberne Rätoromane mit der Wunderwaffe
Nino Schurter ist eine Ausnahmeerscheinung im Schweizer Sport und in der Mountainbike-Szene. Ein Porträt des Bündners mit den schnellen Beinen, der sich 2016 das knapp verpasste Olympiagold angeln will.

2008 nahm Nino Schurter als erster Sportler aus der rätoromanischen Schweiz an Olympischen Sommerspielen teil. Und er konnte auf der grossen Bühne sogleich Spuren hinterlassen. Der Jüngling, der im 100-Seelen-Dörfchen Tersnaus aufwuchs, war ausgezogen, um in der Millionen-Metropole Peking Bronze zu erobern. Er stiess den weitaus erfahreneren Landsmann Christoph Sauser vom Podest. Die Experten prophezeiten damals, dass der Bündner 2012 in London reif für Gold sein würde. Beinahe wäre Schurter nun diesen Vorschusslorbeeren vollauf gerecht geworden. Wenige Meter fehlten zum grossen Coup. Doch auch Silber ist ein anständiger Lohn für eine minutiöse Planung. Die Medaille ist die Folge aus einer bestechenden Konstanz auf Weltklasse-Niveau. Vielleicht schlägt seine Stunde bei Olympia 2016 in Rio de Janeiro.
Ideales Umfeld
Schurter ist in den letzten vier Jahren den hohen Erwartungen gerecht geworden. Er mischte seit Peking permanent an der Weltspitze mit. 2009 in Canberra, in seinem ersten Jahr bei der Elite, schnappte er dem französischen Doppel-Olympiasieger Julien Absalon den WM-Titel weg. Schurter schaffte den Sprung vom Supertalent zum Shooting-Star der Szene. Aufgetankt mit Selbstvertrauen hat er die Gegner das Fürchten gelehrt.
In der bisherigen Laufbahn ist es für Schurter praktisch nur aufwärts gegangen. Dies verdankt der gelernte Mediamatiker auch seinem Umfeld. Mountainbike-Pionier Thomas Frischknecht als Chef seines Rennstalls und Nicolas Siegenthaler als Privat-Coach bieten ihm ideale Trainingsbedingungen. Von seinem langjährigen Markenkollegen Florian Vogel wurde er immer wieder aufs Neue herausgefordert. Mechaniker Erwin Wildhaber stellt ihm perfekt präparierte Bikes hin.
Die acht Kilo leichte Rennmaschine
In den vergangenen Monaten haben Schurter und seine Crew nichts dem Zufall überlassen und mit Akribie Details gepflegt. Auf allen Ebenen ist brachliegendes Potenzial ausgereizt worden. Nach der Silbermedaille an den Heim-Weltmeisterschaften in Champéry hat sich Schurter Mandel- und Nasen-Operationen unterzogen, um gesundheitliche Probleme in den Griff zu kriegen. Auf Hightech-Rollbändern und Simulatoren gewöhnte sich das Aushängeschild des VC Surselva an die in London zu erwartenden Belastungen. Die Renn-Einsätze in diesem Jahr wurden sorgfältig ausgewählt. Weniger ist mehr, lautete die Devise. Den letzten Schliff holte er sich im Höhentrainingslager in der Abgeschiedenheit von Muottas Muragl.
Im Materialbereich hat man das Tüfteln intensiviert. Mit dem Resultat, dass beim Saison-Auftakt nach einer Geheimniskrämerei ein Prototyp präsentiert werden konnte. Schurters Team überraschte die Konkurrenz kurz vor Olympia mit neuen Felgen- und Rahmengrössen. Zuvor waren nur 26- und 29-Zoll-Räder verwendet worden. Schurter konnte nun im März in Südafrika als erster Cross-Country-Spezialist mit 27,5 Zoll ein Weltcup-Rennen gewinnen. Dieses Mass passt zu den Proportionen des 173 cm grossen Sportlers. Kraftübertragung und Rolleffekt kommen besser zur Geltung. «Es gibt dabei auch einen mentalen Faktor», meint Thomas Frischknecht, «es verleiht einem Schub, wenn man weiss, dass man mit einer Wunderwaffe am Start steht.» Jüngste Errungenschaft ist ein innovatives Schaltsystem, mit dem weitere 200 Gramm eingespart werden können. Schurters Rennmaschine der Marke Scott – Wert rund 15'000 Franken – wiegt um die acht Kilogramm. Man hatte sich gefragt, ob für Schurter auf der Jagd nach Olympia-Gold überhaupt noch etwas schiefgehen kann.
Strasse aktuell kein Thema
Privat mag es Schurter eher ruhig. Er ist ein besonnener Typ. Einen grossen Teil der Freizeit widmet er der Regeneration. Er erholt sich zu Hause in Chur mit seiner Freundin Nina, mit Musik von «Coldplay», beim Freeriden oder bei einer Runde Golf. Schurter hat sich in jungen Jahren durch seine Erfolge im Cross Country einen ansehnlichen Status erarbeiten können. Weil er diesen nicht aufs Spiel setzen möchte, denkt er noch nicht an einen Wechsel auf die Strasse. Obwohl in der jüngeren Vergangenheit viele Ex-Mountainbiker bewiesen haben, dass sie fähig sind, eine Rundfahrt wie die Tour de France zu prägen. Schurter könnte sicher auch auf Asphalt ein Stück rätoromanische Geschichte schreiben.
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