Der Schriftsteller im Stall
Urs Mannhart ist zum diesjährigen Wettlesen um den renommierten Bachmannpreis eingeladen. Doch: Wo steckt der Berner Autor eigentlich?

«Ich fühle mich sehr wohl hier», hatte Urs Mannhart per Mail geschrieben, «es ist ein ungemein schöner Hof.» Von Madiswil aus schwingt sich die Strasse ein kleines Seitental hoch und schmiegt sich an die grüne Hügellandschaft im bernischen Oberaargau. Wir fahren an einem blühenden Kartoffelfeld vorbei, nach einer scharfen Rechtskurve halten wir im Schatten eines Nussbaumes. Tief zieht sich vor uns der Walm des Haupthauses herab, frisches Gras ist auf dem Platz davor aufgehäuft.
Aus dem Stall unter dem Dach lugt hin und wieder der Kopf einer Kuh mit schön geschwungenen Hörnern hervor. Das müssen die «Braunviehdamen» sein, von denen Mannhart geschrieben hat. Im Gegenlicht unter der Laube zeichnen sich die Umrisse einer feingliedrigen, aber sich zackig bewegenden Gestalt ab. Das ist er, der Autor.Einen Termin für unseren Besuch zu finden, war nicht ganz einfach gewesen.
Urs Mannhart hat eine Lehre als Bauer begonnen. Auf dem Hof macht er sein erstes Lehrjahr. Per Mail gab er sein Arbeitspensum durch: 6.15 bis 12.15 Uhr, nach dem Essen 20 Minuten Mittagsschlaf, dann wieder Arbeit bis 19 Uhr, dann nochmals hoch auf die Kuhweide. Und dann schon bald schlafen.
Härtetest für den Vegetarier
Schweissperlen laufen dem Autor über die Schläfen, die Sonne brennt, es ist der längste und heisseste Tag des Jahres. Mannhart ist gerade dabei, den Schlag der Kücken zu putzen, die vor zwei Wochen geschlüpft sind. Bei den Hühnern hatte er gleich zu Beginn seinen Härtetest als angehender Bauer, erzählt er.
Zwölf «Güggle» sollten geschlachtet werden, der Chef war krank, also sei ihm die Aufgabe zugefallen. «Dabei bin ich Vegetarier!» Mannhart lacht etwas verlegen, zuckt mit den Schultern und zeigt auf den Holzblock, der neben dem Hühnerschlag steht. Er habe halt einfach versucht, beim ersten Schlag jeweils so gut wie möglich «zpreiche».
Seit 2013 hat er jeweils als Ferienaushilfe auf einem Hof im Engadin Kühe gehütet. Wie das, davon erzählt er im selbstironischen Erlebnisbericht «Melken für Anfänger», den das Magazin «Reportagen» publiziert hat. Doch warum jetzt eine Lehre? «Es ist eine Büez, die mich stinkglücklich macht», sagt der 42-Jährige. Er wollte mehr darüber wissen, wollte die Hintergründe kennen lernen.
Ausserdem habe er einen Ausgleich zum Schreiben vermisst. Bekannt geworden war Mannhart als Velokurier und Reporter. Und sein erster Roman «Luchs» von 2004 verhandelt, wie sich das Verhältnis von ländlicher Bevölkerung und Städtern an der Wiederansiedlung von Raubtieren reibt.
Jetzt also versucht er an sich selbst den Brückenschlag zwischen der Welt des Schriftstellers und der Welt des Bauern. «Eine Riesendistanz», bilanziert er, die sich ihm derzeit vor allem als Überforderung zeigt. Für sein zweites Lehrjahr wechselt er auf einen anderen Betrieb. Dort konnte er ein Anschlussjahr aushandeln, in dem er 50 Prozent arbeiten wird, nur noch 27 statt 55 Stunden pro Woche. «Henneweeni» sei das.
Es sind solche Arbeitsmodelle, die ihm vorschweben, oder auch der Aufbau oder die Mitarbeit in einer Genossenschaft, wo er Freiheiten in Anspruch nehmen könnte. So wie jetzt, da er zum Wettlesen um den Bachmann-Preis eingeladen ist (siehe Zweittext) und dafür eine Woche frei nehmen muss – und das mitten in der Heuzeit. Gibt es denn derartige Betriebe? «Kaum.»
Wieder lacht er etwas verlegen, wird aber gleich wieder ernst. Er hätte sich auch eine Agentur suchen, sich eine Website einrichten und dreissig Lesungen pro Jahr machen können, aber das habe ihn nicht gereizt. «Ich bin nicht gerne nur in der Kunst- und Kulturblase unterwegs.» Sich vom Druck zu lösen, das nächste Buch zu publizieren, ist für ihn eine Befreiung.
Aufgebauter Sehnsuchtsstau
Und doch ist die Arbeit auf dem Hof einiges härter, als er es sich vorgestellt hat. Und: Der Hof ist eine nahezu buchstabenfreie Welt – praktisch ohne Zeitungen und Bücher, ohne kulturelle Veranstaltungen, ohne entsprechenden Austausch. Auch das findet er hart. Zeit zum Schreiben trotzt Mannhart sich ab, indem er eine Stunde früher aufsteht oder die Zugfahrt zur Schule in Zollikofen nutzt.
Und hin und wieder kann er den sich aufbauenden «Sehnsuchtsstau» entladen, wenn er drei Tage am Stück frei hat. Dann zieht die städtische Welt. Einmal reiste er für ein Wochenende nach Lyon, andere Male nach Solothurn, wo er sich in der legendären Schriftstellerbeiz Kreuz einquartierte. Das Schreiben sei wichtig für ihn, erklärt er. Er habe «dieses Reissen».
Eine knappe halbe Stunde hat Mannhart sich bei unserem Besuch abgetrotzt, hat in seinem kleinen Zimmer auf dem Hof Fragen beantwortet und derweil eine Flasche Rohmilch runtergekippt. Dann ist Melkzeit, die dreizehn «Braunviehdamen» rufen.
Einmal im Monat stellen die Bauern auf dem Hof selber Käse her. Das gab den Ausschlag für Mannharts Entscheid, die Lehre auf diesem Hof zu machen. «Es ist erschreckend, wie fremd es uns geworden ist, Lebensmittel herzustellen», sagt er.
Somit ist es auch kein Zufall, dass beide Betriebe, in denen Mannhart seine Lehre macht, Demeter-Höfe sind, die nach biodynamischen Regeln wirtschaften – ein möglichst geschlossener Kreislauf ist eine der Vorgaben, der respektvolle Umgang mit den Tieren eine andere. Dass Landwirtschaft auch anders aussehen kann, erlebt Mannhart in der Berufsschule. Viele seiner Lehrlingskollegen arbeiten auf konventionellen Hochleistungsbetrieben.
Ich bin nicht gerne nur in der Kunst- und Kulturblase unterwegs.
Ist die Vorstellung vom Schriftsteller im Kuhstall also doch romantisierend? «Wohl schon», sagt Mannhart. Wieder lacht er und zuckt mit den Schultern. Nischen gibt es: Der Quellehof bei Madiswil wird von einer Familie in Pacht geführt. Zusätzlich zur Landwirtschaft bieten die Bauern Aktivitäten für Schulklassen an und beteiligen sich an Forschungsprojekten.
Und der Biohof Zaugg bei Iffwil, wo Mannhart ab seinem zweiten Lehrjahr sein wird, ist ein Familienbetrieb in zweiter Generation mit mehr als zwanzig Mitarbeitern und Helfern. Der Hof beliefert Bioläden in der Stadt, er ist dem vertragslandwirtschaftlichen Projekt Soliterre angeschlossen. Siebenmal pro Woche fahren die Hofleute auf einen Markt. In Bern sind sie jeweils donnerstags in der alten Feuerwehrkaserne beim «Löscher».
Mannhart steht unterdessen im Melkstand. Er hat sich ein Melkerhemd übergezogen, stilecht sieht das aus, die Handgriffe sitzen. Bald pumpt die Melkmaschine, der «Techno des Melkstandes», scherzt Mannhart. Und auch er scheint wieder unter Strom zu stehen. Nur «Braunviehdame» Hanna, die «guscht» ist, also vor dem Kalbern steht und am Melkstand vorbeigelotst werden muss, lässt sich noch nicht so richtig beeindrucken von der Schriftstellerhand im ersten Lehrjahr.
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