Der rote Bürgermeister, der zu den Braunen wechselt
Die Neonazis unterlaufen in Deutschland mehrere Kleindörfer. Sogar ein linker Politiker hat die Seite gewechselt und kandidiert bei den nächsten Wahlen für die NPD.
20 Jahre lang war Hans Püschel Mitglied der deutschen SPD. Doch nun reicht es ihm. Der Bürgermeister des 550-Seelen-Dorfs Kauschwitz zieht mit einer neuen Partei in den Wahlkampf. Aber nicht mit irgendeiner Partei, sondern ausgerechnet mit der rechtsradikalen NPD, die ideologisch am anderen Ende des Parteienspektrums steht. Für diese will Püschel im März in den Landtag von Sachsen-Anhalt einziehen. Nach dem Ende der DDR half der studierte Ingenieur mit, das neue Deutschland aufzubauen. Doch nun breche alles weg, aus Frust wechsle er die Seite, sagt der 62-Jährige gegenüber der «Süddeutschen Zeitung». Was immer man wähle, es komme eigentlich immer dieselbe Politik heraus.
Püschels Parteigenossen sind sprachlos. Ihr Kollege galt bislang als engagierter Sozialdemokrat, ab 1990 hatte er mitgeholfen, der SPD in Sachsen-Anhalt den Durchbruch zu verschaffen. Niemand will bemerkt haben, wie sich Püschel allmählich nach rechts bewegte. Rüdiger Erben, SPD-Vorsitzender im Burgenlandkreis, hielt den Genossen sogar für einen Parteilinken: «Ich hätte wetten können, dass er, wenn überhaupt, zur Linkspartei wechseln würde», sagt er. Auch Dorfpfarrer Thomas Wisch zeigt sich erschrocken. Püschel habe im Gottesdienst stets die Orgel gespielt, als Kirchenältester sei er zudem jahrelang einer der wichtigsten Ansprechpartner im örtlichen Kirchenvorstand gewesen. Doch da Püschel nun Kandidat der NPD sei, gehe dies natürlich nicht mehr.
Die Menschen ziehen weg, zurück bleibt die Einöde
Für Wisch ist der Bürgermeister kein Einzelfall: «Das Problem ist, dass viele Menschen hier denken, die NPD sei eine normale bürgerliche Partei», sagt der Pfarrer und fügt an: «Wir erleben hier einen massiven Abbau von Strukturen.» Für die Betroffenen sei das nicht immer einfach zu verkraften, erst recht nicht für Leute wie Hans Püschel, der diese Strukturen aufgebaut habe.
Viele Menschen ziehen aus Sachsen-Anhalt weg, in den Westen. Gemäss statistischen Angaben sind es durchschnittlich 70 Personen pro Tag. An mehreren Orten wurden deshalb Schulen, Kindergärten, Spitäler und auch Polizeistationen geschlossen, die erst nach der Wende eröffnet worden waren. «Was mich stört», sagt Püschel, «ist das Szenario für meine Enkel: Wie sollen die hier noch leben, wenn alles den Bach heruntergeht?»
In anderen Kleindörfern Deutschlands sind die Neonazis ebenfalls auf dem Vormarsch. In Jamel, einem Weiler in Mecklenburg-Vorpommern, sind sieben der zehn Häuser im Besitz von Neonazis. Bis vor kurzem hiess am Ortseingang eine Plakette mit den Worten «Dorfgemeinschaft Jamel – frei – sozial – national» den Besucher willkommen. Ein Wegweiser zeigte nach Braunau, der Geburtsstadt Adolf Hitlers. Auf Geheiss des Ordnungsamts wurde diese Woche beides entfernt.
Schiessübungen, Sauffeste und Nazi-Lieder
«Sie glauben, dass das Dorf ihnen gehört», sagt Birgit Lohmeyer, die sich mit ihrem Mann Horst gegen die Rechtsradikalen wehrt, über die Nazis. Schiessübungen im Wald, Sauffeste auf dem Dorfplatz und Nazi-Lieder am Lagerfeuer müssen die Lohmeyers immer wieder hinnehmen. Wenn sie sich beschweren, müssen sie Repressalien über sich ergehen lassen. Einmal fanden sie in ihrem Briefkasten eine tote Ratte. Die schweigende Mehrheit würde dies einfach dulden. «Hier sind viele der Meinung: Wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er runterfällt», beschreibt Horst Lohmeyer das Klima.
Dieses Problem kennt auch Dieter Massmann, Bürgermeister von Hoppenrade. Die Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern hat rund 700 Einwohner, und hier – wie in anderen Dörfern der Umgebung – haben sich die Neonazis ebenfalls breit gemacht. Massmann erzählt von seinem Amtskollegen Reinhard Knaack im benachbarten Lalendorf. Knaack habe sich geweigert, einer rechtsextremen Frau zur Geburt ihres siebten Kindes eine Patenschaftsurkunde auszuhändigen, erzählt Massmann der «Süddeutschen Zeitung». Seither braucht der Bürgermeister Polizeischutz.
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