1. Mai in BernDer Protest findet im Wohnzimmer statt
Zum ersten Mal in seiner Geschichte findet dieses Jahr keine Kundgebung zum 1. Mai statt. Der Protest der Gewerkschaften verlagert sich stattdessen in den virtuellen Raum.

Rund 230 Demonstrationen finden pro Jahr in Bern statt. Seit Jahren ein Fixpunkt ist dabei jene zum 1. Mai – dem Tag der Arbeit. Protestumzug, rote Fahnen, flammende Reden auf dem Bundesplatz: Das alles wird morgen Freitag nicht möglich sein. Der Corona-Lockdown erlaubt keine Versammlungen von mehr als fünf Personen. Selbstverständlich halte man sich an die bundesrätlichen Vorgaben, beteuert Johannes Wartenweiler, Sekretär des Gewerkschaftsbundes des Kantons Bern. «Wir setzen uns stets für die Gesundheit von Arbeitnehmenden ein», sagt der SP-Stadtrat, «es wäre daher extrem unglaubwürdig, würden wir am 1. Mai diesen Grundsatz ignorieren.»
«Die Videobotschaften werden nicht dieselbe emotionale Wirkung haben wie ein Protest auf dem Bundesplatz.»
Ist ein Protest, der nicht auf die Strasse getragen wird, noch ein Protest? Das sei in der Tat schwierig, meint Wartenweiler. «Wir können nichts aus dem Hut zaubern, was den 1.-Mai-Umzug adäquat ersetzen kann.» Es wird also ruhig bleiben auf den Strassen Berns sowie in anderen Städten des Kantons wie Biel, Thun oder Burgdorf. Doch untätig bleiben die Gewerkschaften nicht. Der Protest verlagert sich einfach in den virtuellen Raum. Laut Wartenweiler haben die schon vor einer Weile bestimmten Rednerinnen und Redner eine Videobotschaft aufgenommen. Diese werden am 1. Mai auf der Website des kantonalen Gewerkschaftsbundes sowie auf dessen Social-Media-Kanälen publiziert. Politgrössen wie Corrado Pardini, Regula Rytz oder Franziska Teuscher richten somit ihre Appelle aus dem Wohnzimmer an die Bevölkerung statt vor Hunderten Besuchern auf dem Bundesplatz.

Verkürzte Reden
«Die Videobotschaften werden nicht dieselbe emotionale Wirkung haben wie ein Protest auf dem Bundesplatz», sagt Wartenweiler, «doch es gibt derzeit keine andere Möglichkeit.» Die Rednerinnen und Redner haben ihre Botschaften zudem der als kurz geltenden Aufmerksamkeitsspanne von Internetnutzern angepasst. «Statt zehn Minuten dauern die Reden nur knapp drei Minuten», so der Gewerkschaftssekretär. Die Reden würden indes nicht um die Corona-Thematik herumkommen, meint Wartenweiler. Gerade in dieser Krisenzeit stelle sich die Verteilungsfrage neu. «Wer einen guten Job hat, kann sich eher ins Homeoffice zurückziehen», sagt er, «während schlecht bezahlte Arbeitnehmende wie das Pflegepersonal oder Bauarbeiter und Verkäuferinnen ihre Gesundheit riskieren und weiterhin an der Front arbeiten müssen.»
Auch auf nationaler Ebene wird heuer digital protestiert. Unter dem Motto «Solidarität. Jetzt erst recht!» kündigt der Schweizerische Gewerkschaftsbund auf seiner Website einen Livestream mit Debatten und Online-Workshops an.
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