Roger Schawinski wurde vom SRG-Ombudsmann gerügt. Er habe die Menschenwürde der Berliner Philosophin und Prostituierten Salomé Balthus verletzt, die am 8. April in Schawinskis Sendung aufgetreten war. Schawinski hat sie gefragt, ob sie als Kind missbraucht worden sei. Er hätte bedenken müssen, dass die Öffentlichkeit zuschaut und eine solche Frage allenfalls in einem Hintergrundgespräch gestellt werden kann.
Weiter rügte die Ombudsstelle, dass Schawinski während des ganzen Gesprächs einen verächtlichen Ton behalten habe, während Balthus sympathisch, schlagfertig und lustig gewesen sei.
Schawinski frage in seiner Sendung oft zurecht angriffig, schrieb Ombudsmann Roger Blum in seinem Schlussbericht. Bei einer Person wie Salomé Balthus jedoch, die – abgesehen von einem ungewöhnlichen Lebensentwurf – nichts verbrochen hat, sei dies unangemessen.
Irritierend und spöttisch
Allerdings: Dieser Interviewstil ist nie angemessen. Im Ethikcode der SRG steht, wie die Angestellten ihre Mitmenschen zu behandeln haben: fair, respektvoll und anständig. «Es gelten die bewährten Regeln des Anstands», heisst es. Schawinski beherzigt diese Regeln nie. Manchmal wird ihm sein aggressiver Stil zum Verhängnis, wenn sich die Machtverhältnisse während des Gesprächs drehen, und der Moderator selber in die Defensive gerät.
Er lässt seine Gäste kaum je einen Gedanken zu Ende formulieren und führt das Gespräch in einem despektierlichen Tonfall.
Doch in aller Regel hält Schawinski seinen Gast in Schach. Nicht nur dank guter Vorbereitung und mit interessanten Fragen. Sondern eben auch mit einem unanständigen und angriffigen Stil.
Er lässt seine Gäste kaum je einen Gedanken zu Ende formulieren, irritiert sie ständig mit Einschüben; er lacht spöttisch, um zu zeigen, dass er eine Antwort für unglaubwürdig hält und führt das Gespräch in einem despektierlichen, zuweilen verächtlichen Tonfall.
Verächtlichkeit hat nichts mit einer kritischen Haltung zu tun
Diese Art von Journalismus ist beinahe ausgestorben. Sie hat ihren Ursprung in der Zeit nach der 68er-Bewegung, in der Roger Schawinski (Jahrgang 1945) sozialisiert wurde, und in der sich die Zeitungen von den Parteien emanzipierten. Journalisten mussten damals, in den Siebziger- und Achtzigerjahren, mit jeder Frage beweisen, dass es neu so etwas wie Pressefreiheit gab. Die Gesellschaft befreite sich vom Korsett der Autoritätsgläubigkeit und überholten Moralvorstellungen, und mutige Journalisten waren ein Treiber dieser Entwicklung.
Aus dieser Zeit stammt auch der «Heisse Stuhl» in der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens. Wer sich exponierte, wurde von Hannes Britschgi grilliert. Bestanden hatte der Gast, wenn er ruhig blieb und wenn seine Antworten plausibel waren. Und der Moderator hatte bestanden, wenn er den Gast in die Ecke treiben konnte wie ein Pitbull, wenn dieser verängstigt und stotternd um Antworten rang.
Kaum jemand goutiert mehr Fertigmach-Journalismus, der verächtliche Bemerkungen mit einer kritischen Haltung verwechselt.
Heute würde der «Heisse Stuhl» nicht mehr funktionieren. Kaum jemand goutiert mehr diesen Fertigmach-Journalismus, der verächtliche Bemerkungen und fehlendes Zuhören mit einer kritischen Haltung verwechselt. Die Zuschauer wollen Mehrwert, Erkenntnisgewinn. Sie schätzen aufbauende Kommunikation, Begegnungen auf Augenhöhe.
Die Medienbranche verdankt den Vorreitern der 68er-Emanzipationsbewegung viel. Pionieren wie Roger Schawinski sowieso. Ohne ihn gäbe es wohl heute noch kein Radio und Fernsehen neben der SRG. Das SRF sollte Schawinski nicht absetzen, wie das seine Kritiker fordern. Es sollte den Ethikcode aber durchsetzen. Bei allen.
Man kann sich auch im Alter noch neu erfinden. Nein, man muss.
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Der Pitbull hat ausgedient
Nicht nur bei Salomé Balthus pflegte Roger Schawinski einen aggressiven Fragestil. Er macht das bei allen Gästen. Diese Art von Journalismus ist überholt.