Porträt von EZB-PräsidentinDer perfekte Sturm für Christine Lagarde
Die Chefin der Euronotenbank in Frankfurt muss die Inflation bekämpfen und die Fragmentierung der Eurozone verhindern. Ein schwieriger Spagat.

Spürt Europas mächtigste Notenbankerin den perfekten Sturm, der gerade aufzieht? Christine Lagarde residiert im markanten Hochhaus der Europäischen Zentralbank (EZB) auf der 40. Etage, immerhin gut 150 Meter über Frankfurt. Der Sturm ist eine doppelte Herausforderung: Die Französin muss endlich die Inflation unter Kontrolle bringen, im Euroraum ist sie zuletzt auf 8,1 Prozent gestiegen. Die EZB-Präsidentin will gleichzeitig die Risikoaufschläge im Auge behalten, die hoch verschuldete Euroländer wie Italien zahlen müssen, wenn sie frisches Geld aufnehmen wollen.
Inflation als Sprengstoff
Im Kampf gegen die Inflation, die quer durch die Eurozone politischen Sprengstoff birgt, hat die 66-jährige Französin bereits erste Schritte angekündigt. Im Juli will die EZB erstmals seit 2011 wieder die Zinsen erhöhen, vorsichtig um 0,25 Prozent. Im September soll ein weiterer Schritt folgen.

Die Kurskorrektur weg vom billigen Geld komme spät. Kritiker werfen Christine Lagarde Zögerlichkeit vor. Diese Vorsicht hat allerdings einen guten Grund. Die EZB-Chefin will eine Neuauflage der Schuldenkrise vermeiden und hat angekündigt, eine «Fragmentierung» der Eurozone «im Keim» ersticken zu wollen.
Jeder, der die Entschlossenheit der EZB unterschätze, mache einen grossen Fehler, sagte Christine Lagarde und erinnerte dabei ein wenig an ihren Vorgänger Mario Draghi. Der Italiener hatte einst mit dem Spruch Geschichte gemacht, er werde «alles, was nötig sei» unternehmen, um die Spekulation gegen den Euro zu stoppen.
Emmanuel Macron könnte schon bald eine neue Regierungschefin brauchen.
Wie sich Christine Lagarde im perfekten Sturm behauptet, könnte über Erfolg oder Misserfolg der Ära der Französin bestimmen. Oder verlässt sie das Schiff doch noch, wie immer wieder spekuliert wird? Emmanuel Macron könnte schon bald eine neue Regierungschefin brauchen und Christine Lagarde würde dann nicht zum ersten Mal als heisse Kandidatin gehandelt.
Überall die erste Frau
Wahrscheinlich ist aber, dass Lagarde auf dem schwierigen Posten bleibt. Obwohl 1,80 Meter gross, ist die stets elegante Französin eine, die immer gern unterschätzt wurde. Die Juristin ist die erste Frau an der Spitze der noch jungen Euronotenbank und zudem die erste Nichtökonomin. Sie war aber auch schon die erste Nichtamerikanerin an der Spitze der amerikanischen Anwaltskanzlei Baker McKenzie, einer der grössten der Welt.

Sie war erste französische Finanzministerin und erste Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Sie sei zwar keine Superökonomin, habe aber ein bisschen Wirtschaft studiert und zudem genug gesunden Menschenverstand, reagierte sie in einem Interview auf Vorbehalte.
Die Meinungen anderer einholen und einen Konsens herstellen zu können, gilt als eine ihrer Stärken. Nach den Alleingängen ihrer Vorgänger setzte sie am Sitz der EZB einen Kulturwandel durch. Die Mutter von zwei erwachsenen Söhnen ist überzeugt, dass Frauen die besseren Führungskräfte sind. Sie forderte eine «grüne Geldpolitik», schreibt Kommunikation gross und setzte durch, dass sich die EZB im Rahmen des Mandats am Kampf gegen den Klimawandel beteiligt.
Christine Lagarde wuchs als ältestes von vier Geschwistern in einer gutbürgerlichen Familie in der Hafenstadt Le Havre auf. Die Mutter war Lehrerin, der Vater Englischprofessor. Als Jugendliche war sie passionierte Synchronschwimmerin. Ein Sport, in dem Disziplin und Koordination zentral sind. Fähigkeiten, die ihr heute noch helfen.
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