Proteste in ThailandDer König, der aus der Zeit gefallen ist
Obwohl die Regierung ein Versammlungsverbot verhängt hat, begehren erneut Tausende gegen das Militärregime auf – und damit auch gegen den bisher unantastbaren Monarchen.

Das hat es in Thailand noch nie gegeben: Die Königin fuhr mit ihrer cremefarbenen Limousine durch die Strassen von Bangkok, und die Sicherheitskräfte mussten ihrem Tross offenbar erst eine Schneise schlagen und Demonstranten zurückdrängen.
Die Leute am Strassenrand streckten Suthida, der Gattin von Rama X., drei Finger entgegen, das Zeichen des Protests, wie man es aus den Romanen und Filmen «Die Tribute von Panem» kennt. So nah hat wohl noch keine Königin der Chakri-Dynastie den Unmut der Thailänder mit ihrem System zu spüren bekommen. Doch sie lächelte tapfer – und winkte zurück.
Studentenführerin verhaftet
Es gärt in Bangkok, und die Bewegung richtet sich nicht nur gegen die verhasste Militärregierung, sie verlangt auch immer offener nach einer umfassenden Reform der thailändischen Monarchie. Der Staat reagierte hart: Die Demonstranten hätten den königlichen Tross «blockieren» wollen, was Oppositionelle bestritten. Die vom Militär gesteuerte Regierung hat inzwischen den Notstand ausgerufen, der weitere Restriktionen bei den Medien ermöglicht und Versammlungen auf maximal vier Menschen begrenzt.
Die Militärregierung, die sich hinter einer zivilen Fassade verbirgt, liess ausserdem Dutzende Demonstranten verhaften. Darunter war auch die 21 Jahre alte Studentenführerin Panusaya Sithijirawattanakul, die unter lauten Schreien von Polizisten in einen Wagen verfrachtet wurde.

Doch obwohl es nach der Verhängung des Notstandes nun illegal ist, sich grösseren Gruppen anzuschliessen, strömten auch am Donnerstag wieder Tausende Menschen in der Innenstadt Bangkoks zusammen – umringt von einem grossen Polizeiaufgebot. Die weitgehend von der Jugend und von Studenten getragene Protestbewegung will erreichen, dass die vom Militär geformte Verfassung geändert wird. Und sie will auch, dass das drakonische Gesetz, das Majestätsbeleidigung mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft, abgeschafft wird.
Die Demonstranten klagen, dass der Staat ihre demokratischen Rechte beschneidet und politische Teilhabe verwehrt. Schon seit Jahrzehnten wächst die Kluft in Thailand zwischen einer ultrakonservativen Minderheit, geschützt durch das Militär, und jenen, die sich als Teil einer unterdrückten demokratischen Mehrheit sehen.
Der König gibt, der König nimmt. Aber nun regt sich Widerstand.
Verschärft hatte sich der Frust der Jugend schon im Frühling, als ein Gericht anordnete, dass die Future Forward Party in Thailand aufgelöst werden müsse. Die Wahlen im März 2019 hatten gezeigt, dass die noch junge Gruppierung um den Politikneuling und Milliardär Thanathorn Juangroongruangkit enormen Zulauf erhielt. Im Laufe der Monate hat die Bewegung ihrer Kritik am Militär auf die Monarchie ausgeweitet, im August mauerten Demonstranten nicht weit vom königlichen Palast eine Plakette im Boden ein, auf der geschrieben steht, dass Thailand dem Volk gehöre und nicht dem Monarchen.
Der König zog es vor, in all diesen schwierigen Monaten mit politischen Unruhen und der Corona-Pandemie im fernen Bayern zu bleiben, wo er eine Villa am Starnberger See besitzt, erst seit dem Wochenende ist er zurück in Bangkok – und mitten in die Proteste geraten. Statt huldvoller Unterwerfung erlebt er dort nun ganz andere Szenen. Der König wird sich dem Konflikt kaum entziehen können. Denn nun steht die heikelste aller Fragen im Raum: Welche Rolle soll die Monarchie im Thailand des 21. Jahrhunderts noch spielen?

Schon darüber zu debattieren, gilt konservativen Königstreuen als Majestätsbeleidigung, wer sich vorwagt, muss mit langer Gefängnisstrafe rechnen. Der entsprechende Paragraf ist eine der schärfsten Waffen des Militärs, um das Volk einzuschüchtern. Umso erstaunlicher ist, was in Bangkok geschieht: Menschen begehren weiter auf, rütteln an einem uralten Tabu.
Seit den fragwürdigen Wahlen 2019 gab es bereits einige Proteste, doch stets war der König ausser Landes. Nun ist er da, und die Frontstellung hat man in dieser Schärfe noch nicht erlebt. Königstreue sind aufmarschiert, in Gelb, der Farbe der Monarchie, auf der anderen Seite Studenten, die eine neue Verfassung fordern. Das Risiko, dass Befürworter und Kritiker aneinandergeraten, wächst, auch wenn es bisher zu keinen Gewaltausbrüchen kam.
Akte maximaler Demütigung
Rama X., der Erbe des legendären Königs Bhumibol, möchte die Proteste womöglich aussitzen, doch das ist schwierig, weil die Unzufriedenheit wächst. Der König hat seine Rolle oft auf eine Weise zelebriert, die sprachlos macht, allein der Umgang mit seinen Frauen und Nebenfrauen verdeutlicht das. Er hebt sie erst in den Himmel, um sie dann, eine nach der anderen, ganz tief fallen zu lassen. Im Akt maximaler Demütigung zeigt sich ein absolutistischer Machtanspruch. Der König gibt, der König nimmt. Aber nun regt sich Widerstand.
Das Bittere ist, dass der Konflikt das Land noch tiefer spalten wird, zudem lähmt die Militärherrschaft von des Königs Gnaden Kreativität und Wirtschaftskraft. Thailand wird nur inneren Frieden finden, wenn es das Erbe der Monarchie mit den Anforderungen einer modernen, zunehmend aufgeklärten Gesellschaft in Einklang bringt. Die Zeiten, in denen ein thailändischer König als unantastbar galt, neigen sich ihrem Ende zu.
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