Eindeutige GebärdenspracheDer heimliche Star im Wahldrama von Georgia
Gebärdensprachdolmetscher David Cowan übersetzt Medienkonferenzen in Atlanta äusserst ausdrucksstark – dabei ist er selber gehörlos.

Der US-Bundesstaat Georgia ist in den letzten Wochen in den weltweiten Fokus gerückt. Im knappsten Rennen der Präsidentschaftswahlen holte sich Joe Biden dort unerwartet die Elektorenstimmen des Südstaats. Donald Trump hat die Niederlage nie akzeptiert und am Wochenende mit einem einstündigen Telefonat nach Georgia für Schlagzeilen gesorgt. Und nun ging es in den Stichwahlen um die beiden US-Senatssitze des Staates und damit auch um die Mehrheitsverhältnisse im Kongress. Governeur Brian Kemp und seine Wahlverantwortlichen haben daher immer wieder öffentliche Auftritte, meist müssen sie die Korrektheit der Wahlen erklären und sich gegen die Vorwürfe des US-Präsidenten wehren.
Immer mit dabei ist David Cowan, der Gebärdensprachdolmetscher. Der Mann mit dem prägnanten Bart übt seinen Job seit 1984 aus und macht dies so ausdrucksstark, dass er neben den Offiziellen unweigerlich auffällt. Und der 56-Jährige wird für seine Auftritte gefeiert, nicht nur von Gehörlosen.
Zuletzt verbreitete sich ein Bild von ihm, wie er sich mit der flachen Hand vor die Stirn schlägt, während der Wahlverantwortliche Gabriel Sterling die Betrugsvorwürfe von Donald Trump als falsche Behauptungen entlarvt. Für viele Menschen ist es das Bild, welches die ganzen Vorgänge rund um die US-Wahlen am treffendsten beschreibt.

Auch ein Videomitschnitt verbreitete sich in den sozialen Medien rasend. Cowan gibt darin mit vollem Körpereinsatz eine Übersetzung von Sterlings Worten zum Besten. Wie der Dolmetscher erklärt, ist sein Ausdruck bewusst übertrieben, um die gesprochene Sprache möglichst genau wiedergeben zu können.
Er übersetzte schon Beyoncé
Begonnen hat sein Internetruhm bereits an der «Atlanta Pride» im Jahr 2019, als er auf der Bühne die Lieder von Beyoncé simultan in die «American Sign Language» (ASL) übersetzte und tanzte. Die Gehörlosen der Region kannten Cowan schon lange, spätestens dann wurde aber auch die breite Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam. Und er bereitete mit seinen Interpretationen nicht nur den Gehörlosen, sondern allen Pride-Teilnehmenden Freude.
Speziell am Übersetzer ist, dass er selber gehörlos ist. In Interviews erklärt er, wie das funktioniert: Er hat jeweils einen hörenden Gebärdensprachdolmetscher dabei, der ihm die Worte vorzeigt. Cowan setzt diese dann in der «American Sign Language» um. Diese Sprache unterscheidet sich beispielsweise von der deutschen Gebärdensprache, es gibt weltweit Dutzende Sprachen für Gehörlose.
«Die Gehörlosengemeinschaft will nicht den genauen Wortlaut oder das Fachchinesisch. Sie will die Botschaft.»
Cowan erklärte nach seinem Pride-Auftritt, dass es für Slang-Ausdrücke in Liedern oft keine passende Übersetzung gebe. Anstatt das Wort dann in Buchstaben vorzuzeigen, wie das üblich wäre, hat er es mit Körpereinsatz verständlich gemacht. Beispielsweise schlägt er sich bei der Phrase «slap my booty» mit der Hand auf seinen Hintern. «Man muss zeigen, was gemeint ist, nicht die exakten Worte des Texts», erklärt Cowan.
In einem Porträt im «Atlanta Magazine» beschreibt er sich als eine Person, die andere als «doppelt vorbelastet» bezeichnen würden – er sei gehörlos und schwul. Allerdings ist beides für ihn kein Unglück. Er habe nie das Gefühl gehabt, anders zu sein. Er ging auf die einzige Gehörlosen-Universität der USA in Washington D.C. und arbeitet nun seit 36 Jahren als Dolmetscher. Was er dabei gelernt hat: «Die Gehörlosengemeinschaft will nicht den genauen Wortlaut oder das Fachchinesisch. Sie will die Botschaft. Wenn ich in ASL dolmetsche, muss sie keine geistige Leistung dafür erbringen. Ich verkürze die Botschaften auf ihre Bedeutung herunter.»
Cowan wehrt sich gegen Leute, die sich herablassend über die Gebärdensprache äussern. Das sei nicht einfach ein Hobby, und er stehe nicht einfach da und winke etwas mit den Händen. «Dolmetschen für die Regierung ist eine ernste Sache. Man studiert Linguistik, die Geschichte dessen, was gesagt wird, und wie Gehörlose verstehen, was gesprochen wird. Und man muss viel üben.» Dass er dabei vor allem mit Republikanern zusammenarbeitet, ist für den 56-Jährigen kein Problem. «Republikaner oder Demokraten, schwul oder hetero, das ist mir egal. Ich bin dort, um einen Service anzubieten und die Botschaften an die Gehörlosen zu übermitteln.»
«Ich möchte klarstellen, dass ich nicht David Letterman bin. Die Leute denken, dass er das da oben ist. Er stiehlt mir das Rampenlicht.»
Sein Einsatz werde aber nicht nur von Gehörlosen geschätzt, wie Cowan sagt. Er beobachte auch, dass beispielsweise fremdsprachige Menschen ihn beobachten und aufgrund seiner Gestik und Mimik so wenigstens einen Teil des Gesagten auch verstehen können. Nicht nur an Medienkonferenzen, Cowan übersetzt auch viele öffentliche Veranstaltungen, beispielsweise ist er an «Black Lives Matter»-Protesten dabei oder an Frauenmärschen.
Nicht zuletzt ist der Dolmetscher aber auch ein Spassvogel, wie in Interviews immer wieder durchschlägt. Mit Verweis auf einen legendären Talkshow-Host, der sein Comeback auf Netflix mit einem ähnlich imposanten Bart wie Cowan gab, sagt er dem «Atlanta Magazine» mit einem Augenzwinkern: «Ich möchte klarstellen, dass ich nicht David Letterman bin. Und dass David Letterman keine Zeichensprache macht. Die Leute denken, dass er das da oben ist. Er stiehlt mir das Rampenlicht. Das ist ein Missverständnis.»

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