Der Greifvogelflüsterer
Ulrich Lüthi ist einer der wenigen aktiven Falkner in der Schweiz. Am historischen Handwerkermarkt in Huttwil demonstrierte er diese älteste Jagdform.
Reiche Bürger und arme Marktweiber tummeln sich zwischen Rittern, es riecht nach Rauch. Man hört die weichen Töne einer Okarina, einer muschelförmigen Flöte aus Ton. Neben der Schenke sitzt das Berliner Duo Ohrenfreut und unterhält die Besucher ununterbrochen mit Liedern aus den letzten 800 Jahren. Ihr Gesang erinnert an die Minnesänger zur Ritterzeit. Die ungewohnte Szenerie: ein untrügliches Zeichen dafür, dass auf dem Areal des Spycher-Handwerks in Schwarzenbach der historische Handwerkermarkt Huttwyl stattfindet, wo altes und fast vergessenes Handwerk eine kurze Renaissance erlebt.
Zwischen Mäuseroulette und Katapult hat Falkner Ulrich Lüthi seinen mittelalterlichen Stand aufgebaut. Sechs Greifvögel hocken ruhig auf ihren Sitzbalken: ein Kaninchenkauz, ein Wanderfalke, zwei Sakerfalken und zwei Wüstenbussarde. Gelassen blicken die stolzen Vögel den Besucherinnen und Besuchern entgegen.
Mit geübtem Griff nimmt der gelernte Koch die Wüstenbussarddame Alaia von ihrem Sitzbalken, erst aber zieht er routiniert den anderen Greifvögeln eine Haube über den Kopf. «Damit sie nicht unruhig werden, wenn ich Alaia mitnehme», erklärt der Kriechwiler sein Vorgehen. Das überwiegend dunkelbraune Gefieder des Weibchens glänzt in der Sonne, als er es für eine Flugvorführung vorbereitet. Geduldig sitzt sie auf seiner lederbehandschuhten Hand und beobachtet aufmerksam, was um sie herum geschieht.
Alaia ist 10 Monate alt und seit etwa 7 Monaten im Besitz des 54-jährigen Falkenflüsterers. In der freien Wildbahn werden Bussarde etwa 15 Jahre alt, in Gefangenschaft gar 20 Jahre. Wenn die Vögel etwa 100 Tage alt sind, kommen sie vom Züchter zum Falkner und werden während 3 bis 4 Monaten für die Jagd ausgebildet.
Lüthi befestigt an einem ihrer Füsse die sogenannte Lockleine. An deren anderem Ende ist ein mit Wasser gefüllter Kanister angebracht. «Ein Bussard kann nicht mehr als etwa 200 Gramm hochheben», erklärt Lüthi. Der Kanister sei etwas schwerer, daher könne der Vogel nicht davonfliegen.
Der Wüstenbussard hat seinen natürlichen Lebensraum in den trockenen bis halbtrockenen Wüsten im Südwesten der USA, in Mexiko und Südamerika und ernährt sich ausschliesslich von Fleisch. Er ist der einzige Greifvogel, der in Gruppen jagt, und wird deshalb gerne von Falknern zur Beizjagd eingesetzt.
Die Beute wird eingesackt
So wird die Jagd auf Feder- und Haarwild mit einem Greifvogel bezeichnet. In der Schweiz sind dafür die Jäger- und die Falknerprüfung sowie eine Spezialbewilligung nötig. Der Greifvogel jagt dabei von der Faust des Falkners aus und greift sich die schwächste Krähe aus einem Schwarm. Gebiete, in denen die Beizjagd regelmässig betrieben wird, werden von den Krähen gemieden. Erwischt der Greifvogel eine Krähe, darf er die Beute allerdings nicht behalten. «Sonst sind sie nachher satt und jagen nicht mehr weiter», weiss der erfahrene Falkner.
Das Vertrauen ist spürbar
Ulrich Lüthi geht davon, bis etwa 40 Meter zwischen ihm und Alaia liegen. Dann ruft er sie zu sich. Mit einer Leichtigkeit hebt der majestätische Wüstenbussard ab und gleitet sanft, fast lautlos zu seiner ausgestreckten Hand. Die enge Beziehung zwischen Mensch und Vogel wird spürbar. «So wird mit den jungen Greifvögeln anfänglich trainiert», sagt Lüthi, «die Abstände zwischen Abflugort und Landung werden langsam vergrössert.» Sobald der Abstand 40 Meter beträgt, sei der Vogel so weit, um frei fliegen zu dürfen. Beim Freiflug werden die Tiere mit Peilsender versehen, damit sie, falls sie nicht zurückkehren, geortet werden können.
Dass zwischen Alaia und Lüthi grosses Vertrauen besteht, zeigt sich, als das Katapult mit Wucht eine steinähnliche Attrappe hochschleudert. Der junge Wüstenbussard zuckt kurz zusammen. Liebevoll streicht der gelernte Koch dem Vogel über die Federn. «Sie wird sich schnell an das Geräusch und die ruckartige Bewegung des Katapults gewöhnt haben», versichert er.
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