Der Gänsegeier fliegt wieder
Halb verhungert konnten Wildhüter vor zwei Wochen einen jungen Gänsegeier aufgreifen. Seit Mittwoch fliegt er nun wieder.

Und plötzlich geht alles ganz schnell. Der junge Gänsegeier streckt seinen Kopf durch die Käfigtüre, macht zwei Schritte, stösst sich vom Boden ab, schlägt drei, vier Mal kräftig mit seinen Flügeln und segelt davon. Der Flug dauert nur einige Sekunden. In einem nahe gelegenen Tannenwipfel macht es sich der Vogel gemütlich.
Dass der junge Gänsegeier gestern bei Heiligenschwendi wieder ausgewildert werden konnte, verdankt er wachsamen Bürgern, die das völlig ausgehungerte Tier vor zwei Wochen in der Nähe von Bauernhöfen bei Amsoldingen gesichtet haben. Die avisierten Wildhüter Peter Schwendimann und Andreas Rubin konnten den Vogel, der mit grösster Wahrscheinlichkeit aus Spanien stammt, mit einer Art Fischernetz einfangen. «Es war nicht so einfach, den verwirrten Geier einzufangen», erinnert sich Rubin. Das Tier war in einem erbärmlichen Zustand, völlig dehydriert und ausgehungert. Es konnte nicht mehr fliegen und torkelte nur noch durch die Gegend. Die Wildhüter brachten den rund zwei Jahre alten Gänsegeier in die Schweizer Wildstation in Utzenstorf.
Dem Tod ins Auge gesehen
«Wir gaben dem Tier keine grossen Überlebenschancen», sagt Erika Siegenthaler, die die Wildstation leitet. Die Tierärztin habe ihm eine Infusion mit Vitaminen verabreicht, später habe man den geschwächten Patienten mit Suppenfleisch und Fallwild aufgepäppelt. «Er hat sich zu unserer grossen Freude rasch erholt», so Siegenthaler. Die Genesung verlief derart erfreulich, dass der Gänsegeier bereits zwei Wochen nach seiner Einlieferung wieder ausgewildert werden konnte. Der Vogel wird die Schweiz wohl in den nächsten Tagen Richtung iberische Halbinsel verlassen. «Die Gänsegeier sind perfekte Segler», sagt Wildhüter Rubin. «Sie steigen auf eine Höhe von bis zu 10'000 Meter und schweben über zig Kilometer ohne grossen Krafteinsatz.»
Der Gänsegeier ist in der Schweiz nicht heimisch. Trotzdem wurden in den letzten Jahren vermehrt Tiere gesichtet. Junge Gänsegeier übersommern vermehrt in den Alpen. Im vergangenen Jahr landete bereits ein spanisches Exemplar in der Wildstation in Utzenstorf. «Weil in der Schweiz alles Fallwild entsorgt wird, fehlt den Gänsegeiern, die sich ausschliesslich von Aas ernähren, die Nahrung», sagt Erika Siegenthaler.
«Wenn wir das Fallwild einfach liegen lassen, ist das Problem nicht gelöst», sagt Wildhüter Rubin. Die Schweiz sei ein äusserst dicht besiedeltes Gebiet. Es gelte verschiedene Interessen zu berücksichtigen.
Berner Zeitung/rop
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