Der Freisinn entdeckt die Provokation
Lange pflegte die FDP das Image einer Partei, die sich im politischen Schlagabtausch nobel zurückhält. Seit der Wahl Philipp Müllers zum Präsidenten hat sich das gründlich geändert.

Die Schlagzeilen sind ihm derzeit sicher: Philipp Müller, Generalbauunternehmer aus Reinach, Nationalrat und seit April 2012 Parteipräsident der einst staatstragenden FDP. «Stinksauer» sei er über das Verhalten der Wegelin-Bankiers, liess Müller gleich in mehreren Sonntagszeitungen verlauten. Die Geständnisse der Wegelin-Leute passten «in die Kaskade von Schweinereien» der in den USA unter Druck geratenen Banken.
Mit der Verbalattacke auf Konrad Hummler und dessen Teilhaber knüpft Müller im neuen Jahr dort an, wo er im alten aufgehört hat. Kurz vor Weihnachten hatte sich Müller Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf vorgenommen und im «Tages-Anzeiger» ihre Entmachtung gefordert. Markige Statements sind längst zu seinem Kennzeichen geworden. Die Themen ändern, doch die Botschaft ist stets die gleiche: Die FDP ist zum Angriff übergegangen.
Stilbruch für die FDP
Im Windschatten des Parteipräsidenten legen auch andere Freisinnige ihre Zurückhaltung ab. Fraktionschefin Gabi Huber, sonst eher für ihre nüchterne Art bekannt, holte in der «NZZ am Sonntag» zum Rundumschlag gegen alle aus, die laut über einen automatischen Informationsaustausch nachdenken. Nicht einmal den Präsidenten der Finanzdirektorenkonferenz, Parteifreund Christian Wanner, verschonte sie. Und an die Adresse von Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz doppelte die Fraktionschefin nach, sie erwarte von Bankern, dass sie sich nicht nur an der Maximierung des Jahresgewinns orientierten.
Müllers Modus Operandi ist seit je die Attacke, sein Mittel ist die gezielte Provokation und seine Stärke die Verkürzung. Für die FDP, die Müller seit der Wahl zum Präsidenten offiziell vertritt, kommt das forsche Auftreten aber einem Stilbruch gleich. «Die FDP-Spitze hat sich der Provokation lange verweigert», sagt Politikberater Mark Balsiger. «Nun betreibt sie das Spiel äusserst geschickt.» Müller ist oft bereits auf verschiedenen Kanälen präsent, während die politische Konkurrenz noch über ihrem Communiqué brütet. Dabei handelt es sich nicht um Sololäufe Müllers, wie Parteiexponenten betonen. Ob beim Gripen oder in der Finanzpolitik: Müller soll seine Vorstösse mit den massgebenden FDP-Politikern abgestimmt haben.
Zurück zur Volkspartei
Mit dem neuen Auftreten der FDP geht eine doppelte Emanzipation einher. Zum einen versucht sich die Partei, vom Finanzplatz und anderen klassischen freisinnigen Interessengruppen abzunabeln. Das Ziel dahinter ist offensichtlich: Die FDP will wieder als Volkspartei wahrgenommen werden; der hemdsärmelige Müller hat hierfür als Selfmademan und ehemaliger Autorennfahrer zumindest den richtigen Stallgeruch. Zum anderen nimmt die FDP als Schöpferin des Bundesstaats Abschied von der «vorbehaltlosen Dauerunterstützung der Regierung», wie Generalsekretär Stefan Brupbacher es nennt. Dieser Prozess wurde schon unter Müllers Vorgänger Fulvio Pelli eingeläutet. Nur gelang es Pelli bloss selten, sich Gehör zu verschaffen. Müller schafft das medienwirksam.
Anschauungsmaterial hierfür liefert die Beschaffung neuer Kampfflieger: Überraschend für eine Partei, die traditionell eng mit der Armeespitze verbandelt ist, machte die FDP den Gripen-Kauf von Nachverhandlungen mit Schweden abhängig. Seit das Verteidigungsdepartement auf Müllers Linie umgeschwenkt ist, steht die FDP als Partei da, welche Bundesrat Maurer die Bedingungen für den Gripen-Deal diktiert.
Kritiker sind verstummt
Vor Müllers Amtsantritt versuchte die FDP über Jahre erfolglos, ihre Aussendarstellung zu verbessern, musste aber zusehen, wie die Polparteien in den Medien den Takt vorgeben. Das ist jetzt anders. Das beachtliche Medienecho mag erklären, weshalb Müllers parteiinterne Kritiker verstummt sind. Vorbehalte gegenüber seiner Person und seinem Stil gibt es. Als geistiger Vater der 18-Prozent-Initiative, mit der er die Zuwanderung einschränken wollte, hat Müller im links-liberalen Parteiflügel einen schweren Stand. Die Vertreter des Finanzplatzes blicken spätestens seit Müllers Vorpreschen bei der Weissgeldstrategie mit Argwohn auf den Aargauer; Doris Fiala legte ihm einst den Parteiaustritt nahe. Und mit seinen Angriffen auf den Gripen hat sich der Präsident unter den freisinnigen Militärs keine neuen Freunde gemacht. Doch den Parteifrieden stören will niemand. Nach drei Jahrzehnten des Niedergangs meint die FDP, wieder Oberwasser zu haben.
Gleichzeitig ist allen in der FDP bewusst: Schlagzeilen allein garantieren keine Wählerstimmen. Bis jetzt ist die Partei mit Philipp Müller an der Spitze nicht schlecht gefahren. Nach den Erfolgen bei den Aargauer Parlamentswahlen sprachen erste Beobachter gar von einem «Müller-Effekt». Müllers wirkliche Gradmesser, die eidgenössischen Wahlen 2015 und die anschliessenden Bundesratswahlen, sind allerdings noch weit weg.
Müller mittet sich ein
Bis dahin darf man gespannt sein, wie sich die «neue FDP» im parlamentarischen Alltag verhalten wird. Befürchtungen, das lärmende Politmarketing werde sich auf die Arbeit in den Räten übertragen, versucht die Partei genau so zu zerstreuen wie den Vorwurf, sie politisiere im Seitenwagen der SVP. Der neue Stil gehe nicht auf Kosten der Substanz, heisst es in der Parteizentrale. Rückendeckung erhält die FDP dabei von unverdächtiger Seite: Gemäss dem Politologen Michael Hermann, der das Abstimmungsverhalten der Parteien in der laufenden Legislatur untersucht hat, ist es die SVP, die sich zusehends der FDP annähert. Die FDP verzichtet ihrerseits auf ein demonstratives Ausscheren im Rat. Bei 92 Prozent der Schlussabstimmungen ist der Freisinn laut Hermann auf der Seite der Parlamentsmehrheit. Bei der SVP beträgt die Quote 57 Prozent.
Mittendrin in der FDP-Fraktion findet sich mittlerweile auch der einstige Outlaw Philipp Müller wieder. Politisierte er nach seiner Wahl in den Nationalrat im Jahr 2003 noch am rechten Rand, hat er sich seither dem freisinnigen Mainstream angenähert.
Für die Schlagzeilen sorgt Müller ausserhalb des Ratsbetriebs.
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