Der Fax aus dem Gericht kam zu spät
Sie nennen ihn auch den «Leibwächter Bin Ladens»: Die Ausschaffung eines Islamisten nach Tunesien war vermutlich illegal. Das könnte Innenminister Horst Seehofer gefährlich werden.

Es war ein Handstreich, den das Migrationsamt, die Bundespolizei und die Ausländerbehörden des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen wohl in enger Absprache unternahmen: Ende letzter Woche flogen sie den Gefährder Sami A. von Deutschland nach Tunesien aus, obwohl das zuständige Verwaltungsgericht dies noch am Vorabend verboten hatte – man könne nicht ausschliessen, dass er in seinem Heimatland gefoltert werde.
Die Behörden rechtfertigten sich, der Fax mit dem Urteil sei erst angekommen, als die Chartermaschine mit Sami A. schon in der Luft gewesen sei. Das Gericht wiederum sagt, die Behörde habe signalisiert, mit einer Abschiebung auf jeden Fall bis zum Urteil zuzuwarten – ansonsten hätte man die Rückführung mit einer Eilentscheidung präventiv verhindert.
Der Vorwurf des Verwaltungsgerichts an die Behörden ist entsprechend hart: Sehenden Auges hätten sie grob rechtswidrig gehandelt und grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien verletzt. Das Gericht ordnete an, dass Sami A. sofort aus Tunesien zurückgeholt werden muss, auf Staatskosten. Dem widersetzen sich nun aber die tunesischen Behörden, die den 42-jährigen Familienvater sofort in Haft genommen haben und als Terrorunterstützer verfolgen wollen.
Bei Bin Laden ausgebildet
Sami A. kam 1997 als Student nach Deutschland, reiste aber gemäss Geheimdienstinformationen 2000 nach Afghanistan aus, wo er bei Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden eine militärische Ausbildung erhalten und zeitweise auch in dessen Leibgarde gedient haben soll. Der deutsche Boulevard nennt ihn deswegen «Bin Ladens Leibwächter». Seit 2006 versuchen die Behörden, den nach Deutschland zurückgekehrten Sami A. abzuschieben. Seit Jahren tobt ein juristischer Kleinkrieg zwischen dem Tunesier, den Ämtern und den Gerichten. Seit April ist der Mann ein Politikum ersten Ranges. Die «Bild» machte seinen Fall publik und erklärte die Abschiebung zum ultimativen Test für eine erfolgreiche Asyl- und Anti-Terror-Politik.
Sami A., der in der salafistischen Szene tief verwurzelt ist, gilt den deutschen Behörden als Gefährder, das heisst, sie trauen ihm auch einen Anschlag zu. Doch gelang es ihnen lange weder ihn ins Gefängnis noch nach Tunesien zu bringen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) machte Sami A. schliesslich zu seiner persönlichen Sache. Er werde sich täglich dafür einsetzen, ihn loszuwerden, sagte er. Selbst Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die so gut wie nie von einzelnen Fällen spricht, zählte Sami A. in einer Rede als ungelöstes Problem auf. «Wir müssen erreichen, dass diese Abschiebeverbote durch Gerichte aufhören», sagte Seehofer, Schirmherr sowohl des Migrationsamts als auch der Bundespolizei. «Mein Ziel ist, diese Spirale aus Gerichtsentscheidungen zu durchbrechen.»
Offenbar ist dies nun gelungen, wenn auch vermutlich nicht auf legale Weise. Angesichts der bisher vorliegenden Informationen liegt der Eindruck nahe, dass die Behörden das Gericht bewusst über ihr Vorgehen täuschten, um dessen erwarteten Entscheid zu übergehen. Darauf deutet auch der Fakt hin, dass sie weder den fortdauernden Flug noch die Übergabe Sami A.s auf dem Flughafen stoppten, obwohl das Gericht sie exakt dazu aufgefordert hatte. Vermutlich wusste die deutsche Seite auch ganz genau, dass die tunesischen Behörden Sami A. nicht wieder hergeben würden – und somit jeder Rückholbefehl eines deutschen Gerichts also ins Leere laufen musste.
Aufarbeitung fängt erst an
Für die handstreichartige Aktion gab es Jubel von AfD und Teilen von CSU, CDU und FDP – sowie von der «Bild», die den Ausschaffungscoup exklusiv begleitete. Mindestens so laut war jedoch die Empörung in den meisten deutschen Leitmedien und den übrigen Parteien. Selbst Wolfgang Kubicki, Anwalt und Vizechef der FDP, beklagte die Leichtfertigkeit von Behörden und Unionspolitikern, «rechtsstaatliche Grundsätze einem ‹gesunden Volksempfinden› zu opfern». Es werde sich rächen, «dass die Erosion des Rechtsstaats von denjenigen vorangetrieben wird, die zu seiner Verteidigung aufgerufen sind».
Die Aufarbeitung des Falles hat gerade erst begonnen. Sollte sich belegen lassen, dass die Ämter das Gericht mit Absicht getäuscht haben, allenfalls auf Geheiss der Politik, wäre dies nicht nur strafbar, sondern dürfte auch politische Folgen haben: Die Posten des gerade erst berufenen neuen Chefs des Migrationsamts, des Chefs der Bundespolizei und desjenigen der zuständigen nordrhein-westfälischen Behörde könnten in Gefahr geraten, ja selbst das Amt des Innenministers. Zwei von drei Deutschen fanden schon vor der Abschiebung von Sami A., Seehofer solle besser zurücktreten.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch