Der Brexit und die Banken: Die Nerven liegen blank
Falschmeldungen über eine Einigung mit der EU für Finanzdienstleister, voreilige Aussagen des Brexit-Ministers: In Grossbritannien herrscht die grosse Konfusion.

Die Erleichterung dürfte gross gewesen sein in der Londoner City – dem Bankendistrikt der britischen Hauptstadt. Es gebe eine Einigung in Sachen Finanzdienstleistungen. Die britischen Banken sollten nach dem Brexit weiterhin Zugang zu den EU-Märkten erhalten. Das berichtete die Londoner «Times» und berief sich auf Regierungskreise. Bislang hatte Brüssel den Sonderzugang abgelehnt. Dies schürte Hoffnungen auf einen baldigen Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen. Medien berichteten über die Einigung, der Wechselkurs des britischen Pfunds schoss in die Höhe.
Nur: Das Ganze stellte sich als Falschmeldung heraus. Die EU dementierte eine angebliche Einigung. Der EU-Chefunterhändler Michel Barnier schrieb auf Twitter, entsprechende Zeitungsberichte seien «irreführend». Die EU sei lediglich bereit, mit Grossbritannien über den Zugang für die Finanzdienstleister zu verhandeln.
«Reines Wunschdenken»
Auch EU-Diplomaten wiesen die Berichte zurück. Der vermeintliche Fortschritt sei reines Wunschdenken unserer britischen Partner, das offenbar über den völligen Stillstand der Verhandlungen mangels britischer Bewegung hinwegtäuschen soll», schrieb der «Tagesspiegel» unter Berufung auf EU-Diplomaten. Sogar das britische Brexit-Ministerium teilte mit: «Nichts ist beschlossen, solange nicht alles beschlossen ist.» Ein Sprecher von Premierministerin Theresa May bezeichnete den Bericht als «Spekulation».
Die EU könne beim Marktzugang eigenständig entscheiden, ob die Regularien denen der EU entsprächen oder nicht, hiess es aus Brüssel. Man sei aber wie gegenüber anderen Drittstaaten bereit, mit Grossbritannien einen Dialog zu führen. London hofft darauf, dass der EU-Austrittsvertrag britischen Finanzunternehmen erlaubt, auch nach dem Brexit weiter in Europa tätig zu sein. Brüssel hatte bislang einen Sonderzugang für britische Finanzunternehmen zum EU-Binnenmarkt nach dem Brexit abgelehnt.
Verwirrung über Aussagen des Brexit-Ministers
Allerdings sind die Verhandlungen für den Austrittsvertrag festgefahren. Am 29. März, also in knapp fünf Monaten, verlässt Grossbritannien die EU. Eine Lösung muss her. Dass die Briten voreilig Erfolgsmeldungen zu den Brexit-Verhandlungen publizieren, zeigt, wie angespannt die Situation ist – genauso wie Aussagen des Brexit-Ministers Dominic Raab.
Dieser teilte zuletzt zuversichtlich mit, dass eine Vereinbarung mit der EU bis zum 21. November stehen werde. Kurz darauf korrigierte sein eigenes Ministerium den Chef: Es gebe keinen festen Termin für ein Ende der Brexit-Gespräche, teilte ein Sprecher des Ministeriums mit und reagierte auf die Aussage Raabs.
Banker verlassen London
Auch aus EU-Diplomatenkreisen heisst es nun: «Nach gegenwärtigem Stand wäre eine Einigung über das reine Austrittsabkommen im Dezember ein mittleres Wunder.» Ohne ein solches Abkommen zwischen der EU und Grossbritannien droht ein ungeregelter Brexit. Weiter sieht der Zeitplan der Brexit-Verhandlungen vor, dass beide Seiten sich bis Ende Jahr auf eine politische Erklärung einigen, in der die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Grossbritannien skizziert werden.
Für den Finanzsektor wäre ein No-Deal-Szenario fatal. Banken verlagern ihre Tätigkeiten deshalb ins Ausland. 630 Arbeitsplätze sind bereits in andere Länder verschoben worden, wie aus einer Reuters-Umfrage Ende September hervorging. Bei einem harten Brexit ohne umfassende Austrittsvereinbarung rechnen die Unternehmen im Finanzsektor derzeit mit einer Verlagerung von 5800 Stellen. Das ist weniger als ursprünglich erwartet: 2017 war noch von 10'000 Jobs die Rede.
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