«Es geht immer um Gefühle»Der Berner Blumen-Freak
Cyril Bergmann kann stundenlang über Blumen reden, ohne zu langweilen. Um seinen Laden an der Marktgasse zu gestalten, schaut er Hunderte Jahre in die Vergangenheit.

Man betrachte eine Blume: Stängel, Blüte, rot oder vielleicht gelb, schön im Moment, Kompost in ein paar Tagen. Betrachtet Cyril Bergmann Blumen, dann sieht er mehr. Viel mehr. Wer mit ihm über Blumen spricht, der nimmt sich besser Zeit. Zum Zuhören. Denn Cyril Bergmann erzählt und erklärt, berichtet und sinniert. Über die Antike und die Neandertaler, über Gefühle und Philosophie. Genug nicht nur für einen Artikel sondern für ein halbes Buch.
Dabei ist Bergmann erst 25 Jahre alt. Und auch als Geschäftsleiter eigentlich ein Neuling. Erst seit anderthalb Jahren führt er seinen Blumenladen an der Berner Marktgasse, in einem Keller mit Backsteingewölbe und kleinem Brunnen, der Holzboden knarzt an einigen Stellen. «Als ich zum ersten Mal hier war, kamen mir fast die Tränen», sagt Cyril Bergmann. «In einem so historischen Raum ein Geschäft führen zu dürfen, ist der Wahnsinn.»

Betritt man den Laden, ohne genau zu wissen, was man will, dann fragt Cyril Bergmann: Welches Gefühl soll denn ausgedrückt werden? «Bei Blumen geht es immer um Gefühle – nie um etwas Rationales.» Zum Beispiel: Wertschätzung am Muttertag? «Wertschätzung ist etwas Königliches, Prunkvolles, Rot wäre die passende Farbe.» Eine Kaiserkrone fände er stimmig, «es kommt aber drauf an, was der Kunde fühlt, wenn er die Blume betrachtet». Als Florist sieht es Bergmann darum als seine Aufgabe, ein Experte für Gefühle zu sein. Auch für seine eigenen. «Was fühle ich? Das ist der erste Schritt. Es kann schwierig sein, so tief zu reflektieren.»
In Österreich zum Meister
Reflektieren – das macht er vor allem in Österreich. Dort besucht Cyril Bergmann einen Meisterkurs, eine Ausbildung, die er als «beruflichen Wendepunkt» beschreibt. «Seit Beginn bin ich mit ganz neuem Enthusiasmus Florist.» Studiert wird Stilkunde, Geschichte, Philosophie, auch Architektur. Der Goldene Schnitt, die «göttliche Proportion», und wie er bereits in der Antike gelebt wurde. Das Verständnis der alten Griechen für Harmonie und Kontrast. Bergmann kann auf Kränze und Amphoren in seinem Laden zeigen und Gedanken dazu ausführen, die sich ein Philosoph vor Hunderten Jahren gemacht hat. «Es ist so wichtig, die Wurzeln seines Handwerks zu kennen», sagt er. «Wie soll man eine Richtung einschlagen, wenn man nicht weiss, woher man kommt?»

«Wenn Sie mich am Wochenende treffen, erkennen Sie mich nicht wieder.»
Woher also kommt er? Wenn Bergmanns wie jeden Sonntag zusammen essen, dann sitzen da: die Grossmutter, Gärtnerin; die Mutter, Floristin; der Vater, Gärtner; die Schwester, werdende Innendekorateurin; und der Bruder, ebenfalls Gärtner. «Der Betrieb der Eltern war früher unsere Spielwiese. All meine Kollegen fanden es cool, bei uns konnte man am besten Verstecken spielen.» Schon früh habe er auch mitgeholfen, um sich etwas Geld für Spielkarten, die er sammelte, zu verdienen. Und doch habe es Mut gebraucht, dem Berufswunsch Florist treu zu bleiben. Unter Jugendlichen gelte Florist immer noch als Frauenberuf. «Blumen sind für mich ein geistiges, spirituelles Gut», sagt Bergmann. «Ich finde die Vergänglichkeit schön. Es geht darum, die Gefühle im Moment auszudrücken, und muss nicht beständig sein.»
Hip-Hop statt Rosen
Auf seiner rechten, seiner starken Hand, hat Cyril Bergmann ein winziges Herz tätowiert – «aus Liebe zu meinem Tun». Er meint damit die Blumen und die Leidenschaft, die er damit verbindet. Aber nicht nur, wie er erklärt. Und dann überrascht er: Er – ordentlich gebügeltes Hemd und gut gekämmt – mache in seiner Freizeit Breakdance. «Wenn Sie mich am Wochenende treffen, erkennen Sie mich nicht wieder», erzählt Cyril Bergmann. Hip-Hop-Klamotten trage er dann, breite Jeans und übergrosse Pullover. Letzten Sommer sei er sogar mit einer Breakdance-Crew unterwegs gewesen. Bergmann zuckt mit den Schultern. «Kontrast ist eine Variante, Harmonie zu erzeugen.» Ein Satz aus der Stilkunde.

Hört man Cyril Bergmann zu, kommt man nicht umhin, ihn für sein Feuer zu bewundern – sich aber auch ein bisschen Sorgen zu machen. Leidenschaft und Rendite vertragen sich oft schlecht. Vielleicht wäre er als Geschäftsleiter erfolgreicher, würde er sich mehr mit Finanzkennzahlen beschäftigen als mit den alten Griechen. Bergmann sagt dann auch ehrlich: «Von einer schwarzen Null kann bis jetzt nicht die Rede sein.» Der Laden in der Berner Innenstadt wird noch vom Familienbetrieb, von den Standorten in Bolligen und Ittigen, querfinanziert. «Das soll sich 2021 jedoch ändern.» Für finanzielle Ziele von seinen Grundsätzen abrücken will er jedoch nicht. «In diesem Laden setze ich einzig und allein meine Vorstellungen um», sagt er. «Dass ich damit scheitern kann, nehme ich in Kauf.»
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