Der Autokrat geht – wenigstens ein bisschen
Kasachstans Langzeitpräsident Nasarbajew hat überraschend seinen Rücktritt angekündigt. Er führte das Land 1991 aus dem sowjetischen Arbeiterparadies direkt in den Kapitalismus.

Der Entscheid sei ihm nicht leicht gefallen, gesteht Nursultan Nasarbajew seinem Volk in einer Fernsehansprache. Doch nach 30 Jahren an der Macht habe er sich dazu entschlossen, zurückzutreten. Zu seinem Nachfolger kürte der 78-Jährige den Senatspräsidenten Jomart Tokajew. Er selber werde Chef des Nationalen Sicherheitsrates. «Ich bleibe also bei Ihnen», versicherte er seinem Volk.
Das dürfte nicht alle Kasachen freuen. Nasarbajew war zwar lange der unangefochtene und geliebte Landesvater. Doch seit einigen Jahren kriselt es in dem zentralasiatischen Riesenland. Einst der Tiger unter den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, leidet Kasachstan heute unter dem tiefen Ölpreis, unter Repression und Korruption. Plötzlich kam nicht mehr genug Geld rein für seine geliebten Prestigeprojekte. Während Nasarbajew etwa die neue Hauptstadt Astana mitten in der Steppe aus dem Boden stampfen liess, ging der Rest des Landes leer aus. Das rächt sich nun.
Inbegriff der Stagnation
Schlussendlich waren es wohl fünf kleine Mädchen, die dem Präsidenten klarmachten, dass er als Landesvater ausgedient hat. Die Kinder waren zwischen drei Monate und 13 Jahre alt, als sie vergangenen Monat beim Brand eines Hauses in Astana starben. Mutter und Vater konnten ihre Kleinen nicht retten, weil beide auf Nachtschicht waren, um die Familie durchzubringen. Die Tragödie löste wütende Proteste von Müttern aus: gegen miese Arbeitsbedingungen, gegen Armut, gegen schlechte Gesundheitsversorgung – und letztlich gegen das unfähige Regime.
Nasarbajew sah sich gezwungen, etwas zu tun. Zwar ist der Autokrat mächtig, doch der wachsende Unmut des Volkes macht der kasachischen Führung zu schaffen. Mit empörten Worten entliess Nasarbajew die Regierung, als wäre er nicht selber der oberste Chef in diesem ausgeplünderten Land. Die neue Regierung versprach umgehend ein Hilfspaket in der Höhe von 3,6 Milliarden Franken. Nichts als Almosen für das Volk, sagten Experten. Das sei zwar viel Geld, aber zu wenig, um grundsätzliche Probleme zu lösen wie die Abhängigkeit vom Erdöl und die Regentschaft einer oligarchischen Clique. Und zu wenig, um Kasachstan das zu geben, was es wirklich braucht: Wandel.
Der einst so mächtige Nasarbajew selber wurde damit immer mehr zum Inbegriff der Stagnation. Als Chef der Kommunistischen Partei der kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik hatte er sein Land 1991 aus dem Arbeiterparadies direkt in den Kapitalismus geführt. Nach dem Untergang der Sowjetunion wurde er zum ersten Mal zum kasachischen Präsidenten gewählt. Dieser Vorgang wiederholte sich alle paar Jahre, doch keine dieser Wahlen wurde als frei und fair deklariert. Sein Land sei noch nicht reif für die Demokratie, rechtfertigte sich Nasarbajew, zuerst müsse eine tragfähige Wirtschaft aufgebaut werden. Die Kasachen hatten in Anbetracht des Chaos, in das ihre Nachbarländer nach dem Untergang der Sowjetunion versanken, nichts dagegen, ihr Land boomte. Und der Westen hatte auch nichts dagegen, weil man sich gute Geschäfte erhoffte.
2010 wählte das Parlament Nasarbajew zum Führer der Nation. Bei dieser Gelegenheit wurde ihm und seiner Familie auch lebenslange Immunität vor Strafverfolgung gewährt. Eine Weile sah es so aus, als wolle er eine Familienautokratie aufbauen und seine Tochter Dariga, welche die Medien im Land kontrolliert, zur Nachfolgerin machen. Ob dieser Plan nun reaktiviert wird, ist unklar.
Klar ist, dass Nasarbajew noch nicht ganz geht: dank seinem Job an der Spitze des Nationalen Sicherheitsrates, eine mächtige Position, die es dem Meister der Machtspiele erlauben wird, dem Land weiter den Stempel aufzudrücken. So gesehen ist Nasarbajews Rücktritt vielleicht nur eine weitere, etwas erweiterte Rochade des Regimes, wie sie sich seit Jahren alle paar Monate wiederholt. «Die Demokratie in Kasachstan ist eine endlose Schwangerschaft», klagte der Theaterregisseur Bolat Atabajew einmal. «Aber wie kann jemand 20 Jahre lang im dritten Monat schwanger sein?» Ob die Geburt der Demokratie nun nach 30 Jahren geplant ist, bleibt fraglich. Das werden die für 2020 geplanten Wahlen zeigen.
Nasarbajews persönliche Erfolgsgeschichte geht auf jeden Fall dem Ende zu: Der starke Mann ist alt geworden. Für postsowjetische Verhältnisse, wo die Lebenserwartung für Männer nur wenig mehr als 60 Jahre beträgt, ist er mit 78 sogar schon sehr alt. Sein Zurückstehen dürfte zumindest zur Folge haben, dass nach Jahren der Agonie der politische Diskurs anläuft. Noch kann ihn das Regime steuern, weil es weder gesellschaftlich noch politisch eine ernst zu nehmende Konkurrenz gibt. Kommt dabei der Wandel in Gange, wäre das das endgültige Ende für den Autokraten Nasarbajew – und zumindest ein Anfang für Kasachstan.
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