«Den Parteilosen fehlt der Einfluss»
Parteilose Gemeinderäte sind auf dem Vormarsch – zumindest in den Dörfern. Regionen wie der Bucheggberg können so ihre Durchschlagskraft verlieren, warnt der frühere Kantonsratspräsident Hans-Rudolf Wüthrich.
Herr Wüthrich, laut einer Studie der Uni Zürich gehört im Seeland noch rund die Hälfte der Gemeinderäte einer Partei an, im Berner Jura lediglich jeder dritte. Im Bucheggberg fehlen zwar konkrete Zahlen, es zeichnet sich aber ein ähnlicher Trend ab. Haben die politischen Parteien ausgedient? Hans-Rudolf Wüthrich (FdP): Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Gesellschaft funktioniert, ohne dass jemand die unterschiedlichen Interessen bündelt. Umso mehr als unsere individualisierte Gesellschaft immer stärker auf Einzelinteressen ausgerichtet ist. Die Parteien setzen Leitplanken für ähnlich Denkende, wobei man auch die überschreiten darf. Ich habe das selber gemacht und wurde deshalb angegriffen. Gleichzeitig führt das zu einem gewissen Profil. Parteien sind notwendig. Ich sehe keine Alternative. Die Studie zeigt aber einen ganz andern Trend auf. Ist das zum Nutzen dieser Gemeinden? Ich stelle jedenfalls ein grosses Missverständnis fest. Parteilose wollen sich für ihr Dorf engagieren. Aber die Gemeinden können ihre Aufgaben längst nicht mehr selber festlegen. Nehmen wir das Beispiel Ortsplanung: Der Kanton liefert die Vorgaben, und die basieren auf einer Vernehmlassung. Vorwiegend Parteien haben ihre Anliegen eingebracht. Der Kantonsrat verabschiedet die Vorlage. Dort sitzen aber keine Parteilosen. Ihnen fehlt die Vernetzung, der Einfluss. Sie kennen die politischen Zusammenhänge nicht. Parteilose seien für das politische System verloren, folgert die Studie. Ihnen fehlen nicht die Ambitionen, sondern die politischen Perspektiven. Es ist für einen Parteilosen praktisch unmöglich, mit Proporz ins kantonale Parlament gewählt zu werden. Das Majorzverfahren hätte Vorteile, beinhaltet aber die Gefahr, dass derjenige mit dem grössten Wahlbudget gewählt wird und gesellschaftlich relevante Gruppen nicht mehr proportional vertreten wären. Die Studie lässt den Schluss zu, ganze Regionen könnten von der politischen Entwicklung abgekoppelt werden. Das muss nicht sein. Parteilose Gemeinderäte finden aber zweifellos wesentlich schlechter Zugang zu höheren Ebenen. Umgekehrt sind im Bucheggberg zumindest die Gemeindepräsidien heute noch traditionell von Freisinnigen besetzt. Etwas Konkurrenz könnte kaum schaden. Man darf diesen Leuten doch nicht zum Vorwurf machen, dass sie sich exponieren. Die SP hat kaum Strukturen und Personal, die CVP existiert nicht, die SVP lebt von Proteststimmen. Mehr Parteien könnten doch die Gemeindepolitik für alle attraktiver machen. Das stimmt. Viele Wähler bekennen sich aber zu keiner Parteifarbe. Ich wusste als FdP-Ortsparteipräsident jeweils nicht mal, wer bei den andern Ansprechpartner ist. Bei den Nationalratswahlen erreichte die SVP in Lüterswil bis zu 30 Prozent Wähleranteil – trotzdem existiert dort keine Ortspartei. In Aetingen scheiterten die «Parteilosen Bürger» kürzlich schon vor der Wahl, weil sie das Prozedere nicht kannten. Parteistrukturen hätten auch dort kaum geschadet. Quereinsteiger haben es grundsätzlich schwer und verschwinden meist schnell wieder – spätestens wenn sie merken, wie die Demokratie funktioniert. Unternehmer können ihr Geschäft alleine führen, in der Politik brauchen aber auch sie Mehrheiten. Damit können viele nicht umgehen. Die Parteilosen sind also in kleinen Gemeinden ein Problem? Ihnen fehlt das Gewicht. Im Einwohnergemeindeverband ist meines Wissens kein Parteiloser dabei. Im Kantonsrat auch nicht. Und die Stimme eines Parteilosen aus dem Bucheggberg hat sicher nicht dasselbe Gewicht wie die eines Städters oder eines Parteipolitikers. Trotzdem gehören immer weniger Gemeinderäte einer Partei an. Dadurch sinkt aber die Durchschlagskraft auf kantonaler und eidgenössischer Ebene markant. Als FdP-Kantonsrat habe ich oft mit Ständerat Rolf Büttiker zusammengespannt. Er hat dann die richtigen Leute in Bern überzeugt. Das nennt man auch Parteienfilz. Wenn man ein Problem zum Nutzen der Gesellschaft lösen kann, dann sind doch Beziehungen nicht negativ. Aber es ist nicht mehr zeitgemäss, sich zu einer Partei zu bekennen. Oft sind ganz falsche Vorstellungen vorhanden. Man muss sicher nicht hundertprozentig die Meinung des Parteivorstandes vertreten. Die Globalisierung findet auch im Kleinen statt, dafür braucht es Strukturen. Vor allem diese kleinen Gemeinden könnten fusionieren. Ich bewundere die Dynamik, mit der die Gemeindefusion im Limpachtal durchgezogen wurde, und hoffe, dass sie positive Signale aussendet. Für mich ist klar, dass der Bucheggberg einmal an Stelle der heute einundzwanzig höchstens noch drei bis fünf Gemeinden zählen wird. Es fragt sich nur, wie viel Energie vorher noch verpufft. Was machen die Parteien falsch? Vielleicht sollten sie sich Interessengemeinschaft irgendetwas nennen, weil der Begriff «Partei» negativ behaftet ist. Die Bürger interessieren sich nur noch für Geschäfte, die sie direkt betreffen. Darauf haben die Parteien noch keine Antwort gefunden. Interview: Robert Grogg >
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch