Wacker Thuns ZuzugDas Tief des Hochbegabten
Noah Haas bestritt als 19-Jähriger seine ersten Länderspiele. Nach einer Verletzung tut sich der Oberaargauer sehr schwer.

Er ist im siebten Himmel. Mit Andy Schmid sowie Mikkel Hansen und damit mit den ganz Grossen der Branche steht Noah Haas im Frühsommer 2018 auf dem Feld, unverhofft gelangt er mit 19 Jahren zu seinem Länderspieldebüt – im linken Rückraum, der Königsposition. Aufregend und irgendwie surreal sei es gewesen, sich im Kreise solcher Leute wiederzufinden, sagt er. Für den Testmatch gegen Dänemark sowie für die WM-Qualifikationspartien gegen Norwegen wurde der Berner nominiert, das war eine Überraschung, auch für ihn, obwohl er regelmässig hatte mittrainieren dürfen. Damit er auch wirklich auflaufen kann, musste der angehende Kaufmann seine Abschlussprüfungen urplötzlich verschieben.
Als der Hüne 16 Monate später zu Wacker Thun wechselt, frohlockt man im Oberland. Vom Zuzug eines der «grössten Schweizer Talente» ist die Schreibe in der Mitteilung des Clubs; von einem «Coup» berichten die Medien. Was dabei ausgeblendet wird: Haas ist nicht mehr derselbe – das ist nicht mehr jener unbekümmerte Akteur, welcher zum Senkrechtstarter des hiesigen Handballs avanciert ist.
«Ich habe teilweise Angst, einzuknicken.»
Ende 2018 und damit rund ein halbes Jahr nach seinen ersten Einsätzen in der Nationalmannschaft verletzt sich der Oberaargauer schwer, er bricht sich Schien- und Wadenbein. Davon erholt hat er sich bis jetzt nicht. Seit August kann er wieder mittun, vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet ist er längst genesen. Doch auf mentaler Ebene sind die Wunden geblieben.
Haas erzählt im Gespräch, er sei blockiert, das Vertrauen in den Körper sei noch nicht wieder da. «Ich habe teilweise Angst, einzuknicken», sagt er. Das sind bemerkenswerte Worte eines jungen Athleten, zumal als Exponent einer rauen Sportart. Haas nimmt die Hilfe eines Psychologen in Anspruch und versucht, Selbstverständnis und Rhythmus zu finden – im Training und nach Möglichkeit in Ernstkämpfen.
Die Einsätze aber: Sie sind rar und vor allen Dingen kurz geworden. Als er zu Wacker stiess, stand er zunächst stets in der Startaufstellung. Der 21-Jährige überzeugte nicht uneingeschränkt, und kürzlich hielt Coach Martin Rubin fest, was niemandem entgangen war: «Noah ist verunsichert.»
Der verhinderte Held
Möglicherweise hätten sich die Dinge anders entwickelt, wären die Oberländer und ihr Zuzug Ende November vom Pech verschont geblieben. Wenige Sekunden vor Schluss befindet sich das Heimteam im Angriff, es zieht gegen St. Gallen in den Cuphalbfinal ein, wenn es vor Beendigung der regulären Spielzeit trifft. Haas kriegt den Ball, er steht alleine vor dem Tor – und wird zurückgepfiffen, die Unparteiischen lassen nicht sogenannt Vorteil laufen. Die Thuner sind in der Verlängerung statt unter den Top 4 und unterliegen schliesslich.
Der Aufbauer erzählt, er habe in der darauffolgenden Nacht nicht geschlafen und lange gehadert. Nun aber sage er sich, derlei Dinge glichen sich im Verlauf einer Saison aus, «beim nächsten Mal haben wir Glück».
Der Vertrag des Talents läuft vorerst bis Ende Saison. Haas sagt, er würde gerne bleiben, «mir gefällt es hier sehr gut». Den Club kennt er seit geraumer Zeit, er war 2013 als Zuschauer dabei, als dieser erstmals Meister wurde. Er schwärmt von der Stimmung in der oft gut besuchten Lachenhalle und von der familiären Atmosphäre im Verein. Und so zögerte er im Herbst des vergangenen Jahres kaum, als ihn Rubin anrief und fragte, ob er sich einen Wechsel vorstellen könne. Eine Stunde Bedenkzeit erhielt er. Das reichte.
Suter als Förderer
Haas kämpft gegenwärtig: um den Anschluss, darum, jener zu werden, der er mal war, und um eine Weiterbeschäftigung. Das ist eine erstaunliche Wende in einer Karriere, welche lange als beispielhaft galt. Früh hatte der in der Nähe von Wangen an der Aare aufgewachsene Berner den HV Herzogenbuchsee verlassen und sich der hoch angesehenen Nachwuchsabteilung Suhr Aaraus angeschlossen, wo er von Misha Kaufmann trainiert wurde.
Schaffhausen nahm ihn später unter Vertrag, er war Teil der renommierten Akademie der Kadetten. Ein spartanisch eingerichtetes Zimmer teilte er sich mit einem Innerschweizer, den er nicht gekannt hatte, täglich begann die erste Übungseinheit um 6 in der Früh. Michael Suter, Leiter besagter Akademie und Nationalcoach, förderte ihn; in der Szene bezeichnet man ihn unverändert als Fürsprecher des jungen Oberaargauers.
Haas wohnt wieder zu Hause, seit er in Thun spielt. Kürzlich schloss er die Berufsmatura ab, er arbeitet nun mit einem 50-Prozent-Pensum in einem Handelsbetrieb und sagt, er fühle sich in der aktuellen Konstellation wohl. Vielleicht findet ihn das Glück ja bald wieder. Pech hatte er zuletzt genug.
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