Das Team Gmelin nimmt Fahrt auf
Als Titelverteidigerin startet Jeannine Gmelin in die Heim-EM in Luzern. Was liegt nach den Turbulenzen mit dem Verband drin?

Jeannine Gmelin lacht. So natürlich, wie man es sich von ihr lange gewohnt war und nicht leicht gequält wie oft in den letzten Monaten. Am Wetter kann es nicht liegen, zwei Tage vor Beginn der EM probt Petrus am Rotsee noch einmal den meteorologischen Aufstand, ehe am Wochenende erste Sommergefühle aufkommen sollen.
Zumindest den Frühling spürt auch die Ustermerin. Die Monate der Zweifel nach den Differenzen mit dem Verband und der erfolgten Trennung sind vorbei, der Blick ist wieder nach vorne gerichtet. «Es geht mir sehr gut, danke», sagt die Athletin gut gelaunt. «In den letzten Wochen und Monaten hat das Team Gmelin in eine Routine gefunden.» Zehn Leute etwa umfasst dieses Privatteam, mit fünf davon arbeitet sie täglich zusammen, jeder weiss genau, was seine Aufgabe ist. Bisher ist sie sehr zufrieden: «Wenn wir so weiterarbeiten können, sind noch grosse Schritte möglich.» Auch das Budget für die Saison ist gedeckt, die Hauptsorge damit weg.
Viele Veränderungen nach der Trennung vom Verband
Die Umstellung war gross. Seit im März eine Abmachung mit Swiss Rowing getroffen wurde, trainiert Gmelin nicht mehr am Verbandssitz in Sarnen, sondern mit Coach Robin Dowell mehrheitlich im Ausland, vor allem in Spanien oder Italien. Plötzlich musste sich Gmelin um alles selber kümmern, was ihr vorher abgenommen worden war – das zehrte natürlich stark an den Reserven, vor allem im mentalen Bereich. Mittlerweile hat sie die gesunde Balance zwischen denjenigen Bereichen gefunden, die sie delegieren kann, und jenen, die ihre Energie benötigen: «In meinem Fall ist das immer noch das Sportliche. Erfreulich ist, dass ich den Hauptfokus wieder voll darauf legen kann, das hatte ich schon vermisst im letzten halben Jahr.»
Dass ihr das guttut, sieht man. Wie zur Bestätigung fügt sie an: «Ich habe die Freude und die Leidenschaft für den Sport wiedergefunden. Wenn diese Faktoren da sind, ist die Basis für gute Resultate gegeben.» Berührungspunkte mit Swiss Rowing gibt es derzeit nur noch während der Wettkämpfe, da ist Gmelin Teil der Schweizer Delegation. Erste Erfahrungen sammelten beide Parteien im Mai in Duisburg, nun in Luzern. «Von unserer Seite sind die Erfahrungen sehr gut», sagt Verbandsdirektor Christian Stofer, und Gmelin sieht es gleich: «Seit wir diese Vereinbarung haben, gibt es vom Verband nur positives und unterstützendes Feedback, die Zusammenarbeit ist sehr gut. Das ist der Weg, für den wir uns entschieden haben, und beide Parteien geben ihr Optimum.»
Natürlich gilt es auch Abstriche zu machen. Der Austausch mit den Landsleuten fällt oft weg, was mehr neben dem Wasser ins Gewicht fällt. Im Training auf dem Wasser war die Zürcherin ja ohnehin schon lange eine Einzelkämpferin. «Das Frauenteam vermisse ich schon», gibt sie zu, «ich hatte ein gutes Verhältnis mit den anderen Ruderinnen.»
Eine Medaille ist bei dieser Konkurrenz kein Selbstläufer
Positiv ist dafür, dass die Flexibilität zugenommen hat. Gmelin ist nun nicht mehr ein x-beliebiges Kadermitglied, das sich an die gleichen Massstäbe halten muss wie alle anderen, der Raum für Individualität ist gestiegen. «Ich kann zum Beispiel auch einmal eine Stunde später trainieren», sagt sie, «und generell sehr flexibel auf meine Bedürfnisse eingehen oder die Gegebenheiten von aussen. Ich merke immer mehr, dass diese gewissen Freiheiten sehr angenehm sind.»
Die Tage von Luzern bringen eine wirkliche Standortbestimmung. Alles, was in Europa im Frauen-Skiff Rang und Namen hat, ist am Start: Magdalena Lobnig, die Österreicherin, gegen die Gmelin in Duisburg eine Niederlage bezog, die irische Weltmeisterin Sanita Puspure, die Holländerin Lisa Schenaard und Mirka Topinkova Knapkova. Die tschechische Olympiasiegerin von London 2012 will nach einer Babypause wieder angreifen. Die Ruderschweiz erwartet von Jeannine Gmelin die erfolgreiche Verteidigung des Titels, den sie im letzten August in Glasgow holte. Die 28-Jährige betrachtet die Ausgangslage aber differenziert: «Als Athletin habe ich natürlich auch dieses Ziel, und es ist ein Kompliment, wenn die Leute so an mich glauben. Für mich ist aber zentral, gerade im jetzigen Zeitpunkt der Saison, dass ich mein aktuelles Potenzial abrufen kann.» Dass dies nach den Turbulenzen der letzten Monate noch nicht dem Maximum entspricht, weiss niemand so gut wie sie selbst.
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