Das Sterben der Favoriten
Das Straucheln vieler Favoriten bei den US Open offenbart: Im Tennis fehlt es im Moment an starken Charakteren.

Als sich in der ersten Woche immer mehr hoch gehandelte Tennisspielerinnen und Tennisspieler nach teils verstörend schwachen Vorstellungen aus New York verabschieden mussten, da wurde in der allgemeinen Berichterstattung weitläufig auf strenge Kritiken verzichtet. Viel lieber wurde frohlockt, dass es ausnahmsweise mal andere Themenfelder zu bespielen gab.
Also wurde berichtet, beinahe übereifrig, von «Überraschungsmännern» und «Sensationsfrauen», wie man das dann gern nennt, die es aus hinteren Gefilden endlich ins Rampenlicht geschafft hätten – und wurde berichtet, ziemlich sicher übereifrig, von all den Jungen, die nicht aus hinteren Gefilden, sondern direkt von null auf hundert ins Rampenlicht rücken würden.
Schöne Geschichten
Wie die Athleten befand sich die Berichterstattung auf einem Höhenflug. Zwei Protagonisten stachen dabei heraus. Da war zum einen Denis Shapovalov (18), Kanadier. Seine Unbekümmertheit, sein aggressives Tennis, vielleicht auch seine langen blonden Haare: Das gefiel. Der «Shootingstar» wurde kurzerhand zum künftigen Messias des Tennis verklärt.
Zum anderen war da Maria Scharapowa (30), Russin. Mindestens verpönt seit ihrer Dopingsperre, wurde sie bei ihrer Rückkehr weiter scharf attackiert für ihr Vergehen, in den Stadien manchmal sogar ausgepfiffen. Doch nun, in Flushing Meadows, wurde sie zur «Comeback-Queen» hochstilisiert. Als sie am späten Sonntagabend ausschied, tat sie den Menschen beinahe leid.
Das Problem dabei: Damit wird verleugnet, dass das Tennis an denselben Symptomen leidet wie viele andere Sportarten auch. Es fehlen Athleten, die unverkennbar sind, ihren Stil haben und eine Meinung, die sie auch dann beibehalten, wenn das Gesagte nicht bei allen gut ankommt. Kurz: Es fehlen Typen. Charakterköpfe, die Kluges von sich geben und auch mal Unkluges, die begeistern und anecken. Auf dem Tenniscourt und vor allem auch daneben.
Noch kann kaschiert werden
Boris Becker hat dies immer getan und ebenfalls bemerkt, dass der nun eingeschlagene Weg gefährlich sein könnte. Schon vor zwei Jahren warnte er vor dieser Entwicklung. In Wimbledon sagte er damals in vielen Interviews: «Heute wird alles, was die Spieler sagen, überwacht, jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Es ist nicht gut, wenn die Athleten nicht mehr ihre wahren Seiten zeigen können.»
Nun ist es so, dass der weisse Sport dies bisher ganz gut kaschieren konnte. Im Sog der Aushängeschilder ging schnell vergessen, dass dahinter ziemlich wenig kam, was lange in Erinnerung bleiben wird. Weil ein Roger Federer sich immer wieder neu erfindet zum Beispiel, immer neue Wege findet, sein Spiel zu verbessern. Und auch, weil er – trotz seines Images als Mister Perfect – nie verlegen ist, Dinge beim Namen zu nennen, die ihm nicht passen.
Federers Pendant auf der Frauentour ist unbestritten Serena Williams. Wie sie es schafft, sich die Konkurrenz seit Jahren vom Leibe zu halten, ist bemerkenswert. Ebenso scheut sich die US-Amerikanerin nicht, scharf zurückzuschiessen, wenn sie sich angegriffen fühlt. Man darf da mal bei John McEnroe nachfragen. Hinter diesem Duo aber kommt lange nichts, es lässt sich auch leicht dahinter verstecken.
Kreativität fehlt
Bei den Männern bleiben Rafael Nadal und Andy Murray wegen ihrer überragenden Fähigkeiten und der damit einhergehenden sportlichen Rivalität im Gespräch. Wirklich etwas zu sagen, das sie unvergleichbar macht, haben sie nicht. Bei Novak Djokovic wäre das nicht so – doch weil er für viele Ansichten, die nicht dem Selbstverständnis der Branche entsprachen, geächtet wurde, nimmt er sich mittlerweile zurück. Wie der Rest der Topspieler auch. Bei den Frauen ist das nicht anders.
Die Gründe dafür sind offensichtlich. Einer davon betrifft das Sportliche. In den Jugendakademien wird sehr einseitig trainiert, alles ist auf ein solides Grundlinienspiel ausgerichtet. Kreativität ist nicht wirklich gefragt. Die Folge ist ein steriler Einheitsstil.
Das bemängelt Federer schon lange und wiederholt es auch am US Open wieder: «Ich finde es sehr schade, dass zum Beispiel kaum jemand mehr ans Netz vorrückt. Wenn das nur selten geübt wird, reicht das nicht, um es zu beherrschen.» Und Martina Hingis sagt: «Auf der Frauentour ist vieles auswechselbar. Die Fans können die Spielerinnen kaum mehr unterscheiden.»
Krampfhafte Versuche
Es scheint, als würde sich diese Austauschbarkeit auf die Charaktereigenschaften übertragen. Kommunikationscoachs sorgen bereits früh dafür, dass sich die jungen Athleten mit Floskeln zufriedengeben. Und da es wirkt, dass in der heutigen Gesellschaft jeder, der ab und an etwas übers Ziel hinausschiesst, ausgeschlossen wird – wie etwa der Australier Nick Kyrgios –, muss sich niemand wundern, wenn sich niemand mehr traut, sich Kontroversen zu stellen. Für diese sind weiterhin die Ehemaligen zuständig, die heute als Experten arbeiten: Becker, McEnroe oder auch Mats Wilander.
Gerade jetzt, da sich nach dem Favoritensterben viele Partien unter Ausschluss der ganz grossen Öffentlichkeit stattfinden. Nur Federer und Nadal – sowie das bisher gute Abschneiden der Einheimischen – sorgen dafür, dass das Turnier nicht belanglos erscheint.
Kaum einer war in der Lage, alle Achtelfinalpartien aufzuzählen. Da ändert auch der krampfhafte Versuch, neue Hoffnungsträger wie Shapovalov zu portieren oder Scharapowa ein neues Image zu verpassen, nichts daran. Das ist keine schöne Geschichte.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch