Gurten 2022: Der TickerBrachialer Abschluss auf der Hauptbühne Mit den Chemical Brothers in die Nacht
Im Gurten-Ticker haben wir die ganzen vier Tage lang über alles berichtet, was auf und neben der Bühne passiert ist.
«Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät?» Ja, liebe Leute, wir haben inzwischen Sonntag. Nach drei Jahren (inklusive zweijähriger Pandemiepause) sind die vier Festivaltage auf dem Gurten wie im Nu verflogen.
Man kann über Sinn und Nachhaltigkeit einer solchen Veranstaltung in der heutigen Zeit diskutieren, und doch haben es die Besucherinnen und Besucher sichtlich genossen, wieder einmal aus dem Alltag auszubrechen, die ernsten Dinge des Lebens zu vergessen und wie in guten alten Zeiten, als Coronaviren für den Menschen noch kaum problematisch waren, zu feiern.
Während die Chemical Brothers auf der Hauptbühne noch ihre elektronischen Klänge kredenzen, schliesst das Medienzelt langsam seine Türen – das Licht ist ja schon aus – und wir beenden damit auch unsere Live-Berichterstattung.
Das Fest ist aber noch nicht vorbei: Im Zelt spielen um 1.30 Uhr Shouse, zu deren Fans berühmte DJs wie David Guetta oder Robin Schulz gehören. Ganz viel Lokalkolorit gibts zur selben Zeit auf der Waldbühne: Prix Garanti singen über arme YB-Spieler und Pop-Up-Bars, die an Hausbesetzungen erinnern - natürlich alles auf Berndeutsch. Und danach kann noch bis mindestens 5 Uhr morgens weitergetanzt werden, ehe die Vorbereitungen auf die Rückkehr in den Alltag langsam beginnen.
Wir bedanken uns bei allen für euer Interesse und fürs Mitlesen. Die Bilanz zur zweiten Hälfte dieser 2022er-Ausgabe des Gurtenfestivals gibt es hier zu lesen. Bis dahin: Guet Nacht! (mb)
Nein, es ist kein Stromausfall, es ist der Sonderwunsch der Chemical Brothers, dass kurz vor ihrem Konzert auf dem Gurten die Lichter ausgingen. Zumindest in der näheren Umgebung der Hauptbühne. Dort spielte am späten Samstagabend das Electro-Duo aus Manchester als letzte grosse Nummer des Gurtenfestivals auf. Sie pachteten quasi das Licht für sich. Und schickten es gegen den Himmel.
Es war nicht der erste Festival-Besuch der Band. 2005 und 2008 traten Tom Rowlands und Ed Simons schon auf dem Gurten auf. Wobei man sich bei den Pionieren des Big Beat nie ganz sicher ist: Sind sie es wirklich, die dort oben auf der Bühne hinter Türmen von Gerätschaften stehen? Weil sie die ganze Show über nur im Gegenlicht stehen, könnten die schwarzen Silhouetten, die da zur Technomusik wippen, von irgendwem sein.

Der Auftritt der Chemical Brothers war auch diesmal weniger ein Konzert als ein DJ-Set. Womit die beschäftigt wirkenden Chemiebrüder sich tatsächlich die Zeit vertrieben während der durchprogrammierten Show – keine Ahnung. Was das Publikum zur unbestritten noch immer mitreissenden Electrodröhnung zu sehen bekam, war: Licht. Audiovisuelle Kunst auf den Leinwänden. Im Rhythmus der harten Beats tummelten sich da grausliche Wesen. Käfer, lachende Masken, grüne Männchen, alles Dinge, womit man ein Kindergartenkind zuverlässig um den Schlaf bringen würde.
Dazwischen gesellte sich gerne ein Blitzgewitter oder ein Lasergewusel, als wollten die örtlichen Energieversorger in Verlegenheit gebracht werden. Zum Blackout kam es nicht. Erhellt war immerhin der Himmel. (mfe)
Was für ein Paar: Sophie Hunger und Bonaparte. Die Schnittmenge aus diesen beiden ergäbe wohl den idealen Künstler, die ideale Künstlerin. Hier die fiebrige, melancholische, wuchtige Grand Dame des Pop, da der quecksilbriger Rock’n’Roll-Zampano.
Sophie Hunger und Tobias Jundt, der hinter dem Projekt Bonaparte steckt, gehören zu den raren Berner Musikerinnen und Musiker, die auch international erfolgreich sind. Und am Gurtenfestival geben sie am Samstagabend auf der zwielichtigen Zeltbühne eines ihrer raren, gemeinsamen Konzerte. Wie in einem Tennismatch wechseln sie sich dabei ab, spielen Lieder von ihren eigenen Alben. Sie tun es ungemein energetisch, mit viel Kraft, einer schelmischen Lust am Spiel und ganz viel nonchalantem Rock’n’Roll. Der Sound ist kernig, Bonapartes Lieder sind gewohnt ungestüm, Hungers flehend sehnsüchtig.

Zu verdanken ist dieses ungewohnte Konzert tatsächlich der Pandemie. Sophie Hunger ist ja so einige Paarungen eingegangen in dieser Zeit. Die bekannteste ist die Supergroup «Brandão Faber Hunger», als sie mit den Liedermachern Dino Brandão und Faber letztes Jahr das Album «Ich liebe Dich» mit glänzenden Liebesliedern in Mundart eingespielt hat. Und in dieser Zeit hat sie sich eben auch mit Bonaparte zusammengetan.
Gemeinsam mit dem Bassisten Tyler Pope (LCD Soundsystem) sowie dem Multiinstrumentalisten Wouter Rentema gaben sie im Berliner «Holzmarkt» erste wilde Konzerte in dieser Formation. Und so ist aus dieser spontanen Zusammenarbeit auch die EP mit dem schlichten Titel «1» entstanden – mit vier Songs. Darauf sind zwei Eigenkompositionen, das LCD Soundsystem-Cover «Daft Punk spielen in meinem Haus» und die eigene Interpretation von TC Matics «Putain Putain».
All das steht auch unter dem Gurtenzelt auf der Menükarte. Das Konzert gerät zum betörenden Steigerungslauf. Es wird immer besser, immer intensiver. Die hochschwangere Sophie Hunger versprüht dabei eine Kraft, die sich einem in die Seele furcht. Das Noir Désir-Cover Le Vent Nous Portera spielt Bonaparte auf dem Rücken liegend am Boden. Es ist ein schürfendes, ein fiebriges, ein quecksilbriges, ein grosses Konzert. (mbu)
Auf dem Wankdorfrasen hatten Zürcher heute nichts zu melden. Anders sieht das ein paar Stunden später auf dem Wiesenstück vor der Waldbühne aus. Auf diesem kann Stereo Luchs einen grandiosen Auswärtssieg verzeichnen. Das zeigt, wie steil die Karriere des Zürchers in den letzten Jahren nach oben ging. Bei seinem letzten Gastspiel auf dem Gurten musste er sich noch mit einem Slot bei Tageslicht abgeben und stiess auf eher spärliches Publikumsinteresse.
Doch der Mann aus Wiedikon profitierte von einer glücklichen Fügung im internationalen Musikgeschehen. Dancehall feierte einen glorreichen Einzug in den Deutschrap, wodurch jamaikanische Rhythmen plötzlich mitten im Mainstream angelangten. Dieser Boom bekam auch Stereo Luchs zu spüren. Seine Songs fanden den Weg aus nischigen Clubs in die Charts heraus.
Während sich viele Künstler ihr Schaffen an aktuellen Trends anpassen, lief es bei Stereo Luchs also genau andersherum. Das verschafft ihm etwas, das bei anderen Bühnendarbietungen oft vermisst wird: Authentizität. Die Musik von Stereo Luchs ist kein Produkt anbiedernden Geschäftsmodellen, sondern hat sich über jahrelange Mitgliedschaft in der Zürcher Reggae- und Dancehallszene zu einem glaubwürdigen Sound entwickelt.
So viel Ehrlichkeit wird vom Gurtenpublikum goutiert. Stereo Luchs lockt ähnlich viele Leute vor die Waldbühne wie das die Lokalmatadore von Jeans for Jesus in der Nacht zuvor taten. Alte Songs wie «Dame» von seinem Debütalbum fanden gleichermassen Anklang wie Tracks von seiner neuesten und gleichzeitig erfolgreichsten Scheibe. Stereo Luchs wird vermutlich nicht das letzte Mal auf dem Gurten gespielt haben. (mer)

Zu Beginn dieses vierten Festivaltages hatten wir gefragt, worauf sich die Gurtengängerinnen und -gänger am meisten freuten. Diese Frage wollen wir natürlich noch auflösen: 40 Prozent aller, die an der Umfrage teilgenommen haben, sind vor allem auf dem Gurten, um Freunde zu treffen. Immerhin 29 Prozent gaben an, die Konzerte seien der Hauptgrund ihres Erscheinens, nur gerade drei Prozent mehr als die Stimmen, die vor allem ihre Kehle mit kühlem Bier befeuchten wollten. Und lediglich jede 25. Person gab an, sich am meisten auf das kulinarische Angebot zu freuen (mb).
Zum vorletzten Mal an diesem Gurtenfestival versammelt sich das Publikum vor Wald- und Zeltbühne. Da ist einerseits Stereo Luchs, einst Vorreiter des Mundart-Reggae. Und im Zelt gibt Tobias Jundt ein Kurzcomeback – ehe er seine Kunstfigur Bonaparte (angeblich) endgültig zu Grabe trägt. Unterstützung erhält der Exil-Berner und Wahl-Berliner dabei von einer Gleichgesinnten: Sophie Hunger. Zürcher oder (Exil-)Berner? Die Qual der Wahl. (mb)
Manchmal sei sie introvertiert, titelt Little Simz auf ihrem letzten Album. Diese Momente dürften bei der jungen Londonerin jedoch Seltenheitswert haben. Little Simz steht mit einer Selbstverständlichkeit auf der Bühne, die keinen Zweifel zulässt, dass sie die Aufmerksamkeit des Publikums geniesst. Das verpflichtet sie selbstverständlich zu einer gewissen Bringschuld. Und diese konnte nicht sogleich beglichen werden. Denn die Zuschauenden, unter denen wohl viele nicht allzu vertraut mit dem Schaffen der 29-Jährigen sind, hielten sich zunächst etwas zurück mit wohlwollenden Reaktionen.
Little Simz schien das eher anzuspornen, als zu irritieren. Die Rapperin liess mit einer unerschütterlichen Selbstsicherheit gigantische Wortschwalle auf das Publikum niederprasseln, ohne dabei auch nur einen Millimeter vom Takt abzuweichen. Wie ein unentgleisbarer Zug ratterte sie durch ihr Set, spielte daneben auch noch etwas Gitarre und Keyboard. Kein Wunder kann sie prominente Persönlichkeiten wie Barack Obama oder Kendrick Lamar zu ihren Befürwortern zählen.
Bei aller lyrischen Eindrücklichkeit schweifte die Musik jedoch manchmal etwas in auswechselbare Gefilde ab. Was auch als stilistische Diversität verstanden werden kann, hört sich schwer nach einem Abhaken angesagter Genres an. Etwas Neo-Soul, etwas Disco, gerne auch etwas jazzig und manchmal werden die alten Grime-Geschichten ausgepackt. Das bietet durchaus eine gewisse Abwechslung, wirkt aber auch etwas zufällig.
Trotzdem steht ausser Frage, dass das Publikum hier Zeuge einer Frau mit grossen beruflichen Perspektiven geworden ist. Und wenn es mit der Musik doch nicht klappen sollte, ist die Frau in England übrigens auch noch eine gefeierte Schauspielerin. (mer)

Ach, die güldene Abendsonne: es ist 19 Uhr geworden auf dem Gurten und die kühlen, verheissungsvollen Nachtstunden sind angebrochen und auf der Waldbühne wartet eine Berner Band, die jenen Sound produziert, der genau für solche Stunden gemacht ist: Sirens of Lesbos heissen sie. Gleich nach dem Chlyklass-Konzert strömt der halbe Gurten vor die Waldbühne. SOL, wie sie sich kurz nennen, sind zum Geheimtipp geworden.
SOL sind zwar die Lieblingsband von Jeans for Jesus, wie diese mal dieser Zeitung gestanden hat. Ihre elektronisch-souligen Tracks werden international gefeiert, geschmackssicherere Sender wie der englische BBC 6 Music etwa spielt ihre Musik – im eigenen Land aber ist die Band noch wesentlich weniger bekannt.
Das ist aber vielleicht auch gar nicht schlimm. Denn SOL dachten schon immer gross. Schliesslich können sie in ihrem Portfolio bereits einen Welthit ausweisen. «Long Days, Hot Nights» heisst er und wurde bis heute 25 Millionen mal auf Spotify gestreamt. Es war ein Hit mit Ansage. Das Lied war explizit auf Ibiza-Tauglichkeit geschrieben worden und schlug ein. Das war 2014.
Seither gehen Sirens of Lesbos jedoch andere Wege. Sie haben sich in den letzten Jahren neu aufgestellt und haben sich einer etwas gehaltvolleren Art von Neo-Soul und Funk-Pop mit Dub in den Knochen verschrieben.
Die Gründer dieses ambitionierten Projekts sind in Bern bekannt. Arci Friede war unter anderem Mitgründer des Clubs Bonsoir, Buss ist Hip-Hop-DJ und hat unter anderem am Soundtrack zum Karl-Lagerfeld-Film mitgewirkt. Und dann gehören da noch die singenden Schwestern Jasmina und Nabyla Serag dazu. Letztere sagte es dieser Zeitung einst so: «Es war von Anfang an ein Projekt, bei dem es in Ordnung war, gross zu träumen. Ehrlich zu sein und zu sagen: Hey, es wäre geil, wenn wir einen Welterfolg hätten.»
Das klappt ganz gut. Die Streamingzahlen lassen sich sehen. Nur eines hatte bislang gefehlt. Sirens of Lesbos sind live noch nicht so richtig erprobt. Die Pandemie war dazwischen gekommen.
Nun also haben sie das Gurtenpublikum vor sich. Eigentlich ist das Konzert gut. Die vielschichtigen, groovigen und traumwandlerischen Sounds mit schleppenden Dub-Anleihen sind von einer kunstvollen Lässigkeit. Leider vermag das Konzert dann doch nicht so richtig zu zünden. Die komplexen Sounds sind etwas schwer transportierbar für eine offene Bühne, wie es aussieht. Das Publikum wippt zwar sanft lächelnd mit, ist aber irgendwie nicht ganz da, das sieht man schon daran, dass eine vorbeifliegende Drohne die Aufmerksamkeit ganz auf sich zieht. Die dublastigen Stücke geraten zu sehr zur Hintergrundmusik, irgendwie scheinen SOL ein bisschen in ihrer Lässigkeit gefangen. (mbu)

Von Musikerinnen und Musikern mitgebrachte CDs und Vinylplatten sind am Gurtenfestival heute anscheinend kein Thema mehr: Der Festival Store rechts neben der Hauptbühne hat mehrheitlich noch Merch-T-Shirts und -Pullover im Angebot. Eine Ausnahme sind die drei Platten, die das Duo Ibeyi dem Store am Freitag vorbeibrachte und signierte.
Ein Grossteil der angebotenen Pullis für 65 Franken verkaufe sich in den Abendstunden, wenn den Festivalbesucherinnen und -besuchern kalt werde, so eine Mitarbeiterin. Also nicht unbedingt des gehörten Acts wegen. Dennoch: Wessen Merch-Artikel verkaufen sich am besten? «Gestern sind die Sachen von Steff la Cheffe und heute die von Chlyklass gut gelaufen», sagt eine Store-Mitarbeiterin. Steff la Cheffes Kleidungsstücke hätten mit die schönsten Designs und seien dazu auch noch nachhaltig produziert – und Chlyklass habe halt sehr viele Fans. (lst)
Erinnert ihr euch an das verliebte Paar, das mit Flugblättern die während des Kraftklub-Konzerts verloren gegangene Schirmmütze gesucht hat? Nun, die Geschichte hat ein glückliches Ende genommen: «Wir sind mega mega happy, ist der Hut wieder aufgetaucht», freut sich Jonas. Wie er berichtet, hat eine Frau aus Polen ihn gefunden – und eine andere Frau habe ihr dann geholfen, die Besitzer telefonisch zu erreichen. Via Fundbüro gelangte die vermisste Kopfbedeckung wieder in ihre Hände.

Nun folgt die nächste Suche: Jonas und seine Freundin Anna Lena, die ihm den selber designten Hut zum ersten Jahrestag geschenkt hatte, möchten mit der Finderin die versprochenen Tequila-Shots trinken. Die Polin habe aber kein Internet, «deshalb gestaltet sich die Suche etwas schwieriger. Aber wir geben nicht auf!»
Die beiden bedanken sich herzlich bei allen, die für sie die Augen offenbehalten haben. «Die Leute auf dem Güsche sind ja so hilfsbereit!» Ihre Lektion haben sie gelernt und wollen den Tipp mit allen teilen: «Nehmt keine wichtigen Sachen mit ans Gurtenfestival!» (mb)
Während auf den Nebenbühnen die letzten Klänge der Konzerte erklingen und sich Little Simz auf ihren Auftritt auf der Hauptbühne vorbereiten, bleibt noch etwas Zeit für ein kurzes Quiz:
(lst/apr/mb)
Einen der schweisstreibendsten Jobs am Gurtenfestival haben drei Frauen am Zweifel-Stand neben der Zeltbühne inne. Seit vier Tagen müssen sie sich dort oberhalb einer Rutsche abwechselnd in die pralle Sonne stellen und um die Wette kraxelnde Festivalgängerinnen und -gänger durch ein Megaphon anspornen.
Mit stündlichem Abtausch, Sonnencreme und fünf Litern Wasser am Tag sei aber alles halb so schlimm, sagt das Trio. Ihre Ausrufe durchs Megaphon klingen noch genauso motiviert wie am ersten Tag. (lst)

Hip-Hop hat sich vom Untergrund-Phänomen längst zur populärsten Musik der Welt gemausert. Zumindest auf Schweizer Boden sind die Mitglieder daran nicht ganz unschuldig. In den Nullerjahren war es dieser Zusammenschluss aus PVP, Wurzel 5 und Baze, die den Weg für die kommenden Berner Rap-Generationen geebnet hat.
Doch was haben die Pioniere von damals heute noch für eine Bedeutung? Schliesslich ist Rap zur Kunstform geworden, die im stetigen Wandel steht. So haben manche lyrische Ergüsse der Chlyklass-Mitglieder den Test der Zeit nur mit ungenügender Note absolviert. Zu viele hingezweckte Doppelreime oder aus heutiger Sicht antiquierte Flowpassagen haben sich in die Texte eingenistet.
Doch gewisse Abnutzungserscheinungen können der Chlyklass nichts anhaben. Die Crew kann auf 25 Jahre Erfahrung und einen Songkatalog zurückgreifen, in dem so mancher der grössten Hits der Schweizer Rap-Geschichte eingetragen ist. So waren es denn auch die Tracks aus den Tiefen der Vergangenheit, die für Gänsehautmomente sorgten.
So zum Beispiel «Leider» von Baze. Der Song, musikalisch entlehnt von King Floyds Soul-Ballade «Please Don’t Leave Me Lonely» ist quasi das «Scharlachrot» der Schweizer Hip-Hop-Chronik – und Grund dafür, dass die für die Tageszeit eindrückliche Menschenmasse vor der Hauptbühne die Hände über dem Kopf hatte.

Die Chlyklass will jedoch nicht nur von vergangenen Erfolgen leben, sondern probiert, die Relevanz damaliger Zeiten aufrechtzuerhalten. Songs wie «Wysse Golf» sind zwar solide zeitgenössische Machwerke, haben aber gegen die Innovationskraft der jüngeren Generation das Nachsehen und lösten auch beim Publikum nicht grosse Euphorieschübe aus.
Zumindest um ein eindrückliches Live-Erlebnis zu schaffen, ist die Berner Crew nicht auf neues Material angewiesen. Denn langweilig wird es nie, da auf so viele sehr unterschiedliche Charaktere zurückgegriffen werden kann. So zum Beispiel auf Greis, der dem Publikum immer wieder ins soziale Gewissen redete.
Und dann waren da natürlich auch noch die vielen Representer-Tracks, die den eigenen Fähigkeiten als Rapper, aber vor allem auch der Stadt Bern huldigten. Dass diese Verbundenheit zu Bern nicht bloss reine Plattitüde ist, zeigte beispielsweise das Outfit von PVP-Rapper Krust. Er trug ein T-Shirt des Bootszubehör-Ladens in der Moserstrasse. (mer)

Um 23.45 Uhr werden die Chemical Brothers aus England als Headliner auf der Hauptbühne auftreten. Offenbar residiert das Duo im Hotel Schweizerhof in Bern, denn auf Twitter haben sie heute Nachmittag ein kurzes Video veröffentlicht, in dem sie aus ihrem Hotelzimmer heraus eine Gruppe Alphornbläser filmen, die auf dem Bahnhofplatz traditionelle Klänge zum Besten geben.
«Guten Morgen Bern, wir sehen uns heute Abend am Gurtenfestival, schreiben sie darunter. Mit Sicherheit wird es während ihrer Electronica-Show auf dem Gurten aber etwas weniger traditionell zu und her gehen als bei den Alphörndlern vor der Heiliggeist-Kirche. (chh)
«Hie ghöri härä, hie isch mis deheimä», stimmt die Berner Rap-Combo pünktlich um 18 Uhr an. Es ist der Einlaufsong der Young Boys, die zeitgleich im Wankdorf die neue Saison gegen den FC Zürich eröffnen. Sie hätten volles Verständnis für alle, die gerade ein paar Kilometer weiter weg sind. Vereinzelt werden im Publikum YB-Trikots in die Luft gestreckt. (mb)
Auf der Hauptbühne steht inzwischen die Chlyklass und trägt dem Gurten-Publikum seine Berner Rap-Klassiker vor. Wir haben Krust, Baze und Serej vor ihrem Konzert getroffen und sie gefragt, wie man im Rap-Game würdig altert, was früher alles besser war und wie man einem Festivalkater vorbeugt.
Die Antworten gibt es hier im Video: (chh)
Sie kam 15 Minuten zu spät auf die Zeltbühne und ihr Set bestand lediglich aus vier Songs. Aber für jene kurze Zeit, die sie auf der Bühne stand, markierte sie eine gewaltige Präsenz:
Die 19-jährige Afrobeats-Künstlerin Ayra Starr aus Nigeria wird bereits als der nächste grosse Star gehandelt. Inwiefern sich diese Prognose bewahrheiten wird, bleibt abzuwarten. (chh)

Das ist sie also, dieses jüngste Pop-Phänomen des Landes: Joya Marleen, die 19-jährige Gymnasiastin aus St. Gallen, die dieses Jahr etwas überraschend an den Swiss Music Awards gleich drei der wichtigsten Schweizer Musik-Trophäen abgeräumt hat.
Vor zwei Jahren landete sie mit «Nightmare» einen Hit. In diesem Jahr konnte sie auf der ganzen Tour von Hecht im Vorprogramm spielen und so einiges an Bühnenerfahrung sammeln.
Und jetzt also steht sie am späten Nachmittag auf der Waldbühne und man merkt sofort, dass die Auszeichnungen dann doch keine solche Überraschung waren: Joya Marleen verfügt schon mal über jene zwei Merkmale, die sie für eine grosse Bühnenkarriere begünstigen: Eine grosse Ausstrahlung und ein gewaltiges Stimmorgan.
Joya Marleen heisst bürgerlich Joya Schelder und ist in einer musikbegeisterten Familie in St. Gallen aufgewachsen. Joyas Bruder Maurus mischt Housebeats, ihr Vater Kuno Schedler ist Professor und Managementforscher an der HSG und leidenschaftlicher Musiker - inklusive eigener Band. Joya stand schon als Kind mit ihm auf der Bühne und schrieb früh eigene Songs.
Ihr Konzert in Bern zeigt indes, dass diese Karriere gerade erst beginnt. Obwohl die Stimme einen bis ins Mark zu erschüttern vermag, ist der Pop zu oft noch ein bisschen zu einfallslos, etwas zu lieblich, es fehlen die Brüche, das Eigene.
Obwohl all das durchaus da wäre. Joya Marleen hat etwa bereits die eine oder andere herrlich dunkle Ballade im Repertoire. Und die trägt sie mit einer Innigkeit vor, die einem direkt in die Seele fährt. «It's been a while», ist so ein betörender Song. Ein grosses Talent. Da kann noch viel kommen. Vor zwei Wochen hat sie übrigens die Matura abgeschlossen. Jetzt sei sie offiziell Musikerin, wie sie dem Publikum verrät. (mbu)

«Ich wollte wie Van Halen und die Cocteau-Twins klingen – als wären sie aus der Türkei.» So erklärt die Multiinstrumentalistin Serra Petale die Vision hinter ihrer Band «Los Bitchos», die sie vor vier Jahren gründete.
Los Bitchos, das sind vier Wahl-Londoner Musikerinnen, die sich unverfroren an lateinamerikanischer Musik aus den 1960er-Jahren, an anatolischen Rockplatten der 1970er und Madonnas Latino-Phase vergreifen und sie mit Surfgitarren, buntem Pop und einem Schuss Psychedelic anreichern.
Ihr bevorzugtes Opfer ist dabei die Cumbia, diese äusserst populäre Paartanzmusik aus Kolumbien. So läuft also nun um 15 Uhr auf der Hauptbühne eine Art verdrogte südamerikanische Einkaufscenter-Musik mit viel Gitarre, Synthesizer und einigen hellen Brunftschreien dazwischen.
Die Bassistin trägt blonde Stirnfransen, blickt etwas traumverloren über das Publikum und wackelt dabei keck mit den Hüften. All das ist schlicht grandios. (mbu)

Das erste Konzert auf der Hauptbühne ist schon fast vorüber, ein Grossteil der Gurtengängerinnen und -gänger befindet sich aber wohl noch im Tal. Diesen Eindruck vermittelt zumindest das Bild bei der Talstation der Gurtenbahn, wo sich die Schlange mittlerweile wieder bis zur Heitere Fahne zieht. Die Zahl jener, die trotz der Hitze den Weg auf den Gurten unter ihre Füsse nehmen, ist entsprechend ebenfalls gross – bei den Treppen neben der Talstation bildet sich sogar eine kurze Schlange. (sih/mb)

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