
Eigentlich sollte längst alles vorbei sein mit Corona. Immerhin war es Gesundheitsminister Alain Berset selber, der das noch im Mai verkündete: Wenn genügend Impfdosen da seien, damit alle Impfwilligen geschützt seien, dann könne man im August endlich die ganzen Restriktionen beenden, die lästige Maskenpflicht ebenfalls. Demnach sollte heute alles wieder sein wie vor der Pandemie.
Ein leeres Versprechen. Statt grenzenloser Freiheit drohen neue Einschränkungen. Die Maskenpflicht an den Schulen wird mancherorts wieder eingeführt – in den Läden und im öffentlichen Verkehr bleibt sie noch lange. Jetzt fordert die SVP, man solle an der Grenze obligatorische Tests einführen und alle, die aus dem Ausland kämen, sollten in Quarantäne, bis das negative Resultat eingetroffen sei. Warum genau sie das besser findet als eine Zertifikatspflicht für all jene, die weiterhin ins Innere der Restaurants und der Fitnesszentren wollen, ist ihr Geheimnis. Man stelle sich das Chaos an der Grenze vor, wenn man alle in Quarantäne schickt, die durch den Gotthard nach Italien wollen oder aus den Herbstferien zurückkommen.
Womit sie allerdings recht hat: Die Gefahr, die von Ferienrückkehrern ausgeht, wurde viel zu wenig beachtet. Bei einem Ausländeranteil von 25 Prozent rächte es sich zudem bitterlich, dass es der Schweizer Politik, und auch den Medien, nicht gelingt, die Diaspora zu erreichen, selbst dann nicht, wenn sie längst eingebürgert ist. Bersets Auftritt am albanischen Fernsehen, ein halbes Jahr nach Beginn der Impfkampagne, kam viel zu spät. Auch dass die Kantone bei der Bereitstellung von Intensivbetten und dem zugehörigen Personal geizen, ist nicht besonders intelligent, wenn man die Kosten eines neuerlichen Lockdown wegen überfüllter Spitäler bedenkt. Auch da sind es jahrelange Versäumnisse, die viel zu geringe Zahl an Ausbildungsplätzen für qualifiziertes Pflegepersonal und der Numerus clausus bei den Ärzten, die sich rächen. Übrigens mit ausgelöst von den Politikern, die jetzt lautstark das Gegenteil fordern.
Kurzfristig lässt sich das Kapazitätsproblem nur lindern, aber nicht lösen. Denn wenn man das bestehende Personal für Corona-Fälle abzieht, entstehen anderswo Lücken, die für Patientinnen und Patienten, deren Operationen verschoben werden, sehr unangenehm sind. Selbst wenn es sich «nur» um eine Hüftoperation handelt. Da kann Berset noch so eindringliche Briefe an die Kantonsregierungen schreiben, sich endlich solidarisch zu zeigen und wo möglich Betten bereitzustellen.
Kurzfristig, und sofern man keinen neuen Lockdown riskieren will, hilft nur ein indirekter Impfzwang über das Covid-Zertifikat. Es sei denn, es ginge sofort ein Ruck durch die Bevölkerung, und es lassen sich endlich jene rasch impfen, die es bisher nicht getan haben – ob sie nun aus dem Kosovo stammen, aus dem St. Galler Hinterland oder aus der Innerschweiz. Ich hoffe immer noch auf Letzteres, aber am nächsten Mittwoch geht es wohl einen Schritt weiter Richtung Impfzwang. Die Politik der Eigenverantwortung hat leider versagt.
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Corona-Zertifikat – Das Politversagen führt zum Impfzwang
Am Mittwoch wird der Bundesrat für Restaurants und Fitnessclubs die Zertifikatspflicht einführen. Es ist die Folge langjähriger Versäumnisse und scheinheiliger Politik.