Der schwere, graue Körper glänzt in der Sonne, der Atem strömt in einem unvergleichbaren Rauschen in die Luft und blubbert wieder in das riesige Säugetier. Unverhofft ist ein Pottwal mit seinem Jungtier neben unserem Schiff aufgetaucht, um sich für den nächsten langen Tauchgang Sauerstoff zu verschaffen. Etwa zehn Minuten bleiben sie dafür ganz ruhig an derselben Stelle an der Meeresoberfläche, atmen rasselnd und prustend ein und aus. Die drei Kinder sind ausser sich vor Glück, wir Eltern genauso. Wir drosseln unser Tempo, um sie beobachten zu können, bis sie kopfvoran abtauchen. Ihre Schwanzflosse zeichnet sich dabei über dem Horizont ab, als ob sie uns zuwinken würden, bevor sie wieder für geraume Zeit in der Tiefe des Ozeans verschwinden.
Neun Monate leben wir nun als Familie auf einem 13 Meter langen Segelschiff auf dem Meer, vier weitere liegen vor uns. 13 Monate insgesamt, in denen wir diesen enormen Lebensraum von einer ganz neuen Seite kennenlernen. Bei unserem Start letzten Juli an der portugiesischen Algarve staunten unsere Söhne noch über die flinken Krabben, die sich schnell über die aufgehäuften Steine davonmachten und in kleinen Zwischenräumen Schutz suchten. Zwischen den kanarischen Inseln machten Pilotwale durch ihre scheinbare Gelassenheit auf sich aufmerksam. In gemächlichem Tempo senkte sich ihr dunkler Körper sanft und geschmeidig auf und ab. Während der Überfahrt zu den Kapverden besuchte uns eine ganze Delfinschule, die uns über Stunden begleitete. Wie Raketen schossen sie in Vierergruppen in unsere Bugwelle, tanzten und sprangen im bewegten Wasser, drehten wieder ab, um mit neuem Anlauf nochmals dasselbe zu tun. Unsere drei Jungs vorne auf dem Bug, mit Schwimmwesten und Lifeline gesichert, jubelnd dabei. Angekommen bei der Insel Sal schwammen kleine Zitronenhaie im knietiefen Salzwasser um unsere Beine und erste Meeresschildkröten streckten neugierig an unserem Ankerplatz ihren Kopf aus dem Wasser.
Fischtrawler, Plastik und Algen
Sonne, Strand, besondere Lebewesen, tolle Erlebnisse: Doch natürlich gibt es auch Schattenseiten. Bei unserer Atlantiküberquerung von den Kapverden nach Barbados mussten wir tiefnachts weit entfernt von jeglicher Küste kilometerlangen Fischnetzen ausweichen. Riesige, grell beleuchtete Fischtrawler verrichteten ihre Arbeit, die darin besteht, unglaubliche Mengen an Meerestieren aus den Tiefen des Atlantiks zu holen, damit wir in der Schweiz unser Sushi geniessen oder zwei Kilo gefrorene Thunfischfilets im Plastikbeutel aus dem Tiefkühlregal klauben können.
Der Plastik kann sich für keine Seite des Atlantiks entscheiden: Sowohl in den Kapverden, als auch in der Karibik wird er unerbittlich an die Küsten geschwemmt.
Die Überfischung und damit die empfindliche Störung dieses Ökosystems ist für uns kein unbekanntes Problem, aber inmitten des Atlantiks zu sehen, in welchen Dimensionen in internationalen Gewässern gefischt wird, war beeindruckend. Davor in den Kapverden und danach im Süden der Karibik Menschen kennenzulernen, die abhängig von dieser Nahrungsquelle sind, umso bedrückender. Immer wieder segelten wir durch die fussballfeldergrossen Sargassum-Algenteppiche, denen nun aus der Karibik und der USA sorgenvoll entgegengeblickt wird. Und der Plastik! Er kann sich für keine Seite des Atlantiks entscheiden: Sowohl in den Kapverden, als auch in der Karibik wird er unerbittlich an die Küsten geschwemmt.
Distanzen erleben
Seit wir auf dem Meer unterwegs sind, nehmen wir Distanzen wieder anders wahr, die Welt ist grösser geworden. Wir segeln tagelang für Strecken, die ein Flugzeug in wenigen Stunden passieren würde. Dabei sind wir auf die Gunst der Elemente angewiesen. Hin und wieder braucht es Geduld, auf den richtigen Wind zu warten, um weiterreisen zu können. Zu warten ist übrigens etwas, was uns Erwachsenen oft schwerer fällt als unseren 10-, 8- und 6-jährigen Crewmitgliedern. Bläst der Wind zu wenig, reicht es nicht, um die Segel zu setzen, ist es zu stark, warten wir ab, bis wir ohne Risiko weiter können.
Wir haben das Meer von seiner entspannten, ruhigen Seite kennengelernt und haben Respekt, wenn der Wind zunimmt und diese unglaubliche Wassermasse in Bewegung setzt. Eine Wassermasse, die Fische in allen möglichen Farben und Formen, Quallen, Rochen, Seepferdchen, Kraken, Meeresschildkröten, Wale, Delfine, Korallen und noch so viel mehr beherbergt. Diese Vielfalt, das unglaubliche Ökosystem, das am Laufen gehalten werden muss, die Strömungen und Winde, die die Bedingungen beeinflussen: All das ist uns in den vergangenen neun Monaten näher gerückt. Breitet sich der Horizont weit vor unseren Augen aus und umgibt uns über mehrere Tage nichts als Meer, wird uns bewusst, welche Fläche die Ozeane auf der Erde bedecken und wie klein wir daneben erscheinen. Und wie abhängig wir als Teil dieses ganzen Systems davon sind, wie es diesen Meeren geht.
Sie haben verstanden, weshalb Plastikröhrli – obwohl sie Spass machen und man damit so schön blubbern kann – verboten gehören.
Streifendelfin, Gemeiner Delfin, Tümmler, Fleckendelfin... Unterdessen unterscheiden unsere Kinder die Meeressäuger, wenn wir sie antreffen. Unsere Kinder jubeln noch immer über jede Meeresschildkröte, die uns beim Morgenessen im Freien den Kopf aus dem Wasser entgegenstreckt. Von ihren Schnorchelgängen wissen sie, dass auch sie wohl nach dem Abtauchen am Meeresboden gemütlich an ihrem Seegras weiterkauen wird. In einer Bucht vor einem kleinen Städtchen haben wir zwei entdeckt, deren Hinterbeine sich in Plastikresten verheddert haben. Unsere Kinder hat das ziemlich mitgenommen, aber sie haben verstanden, weshalb Plastikröhrli – obwohl sie Spass machen und man damit so schön blubbern kann – verboten gehören.
All das mit eigenen Augen zu sehen, lässt unsere Kinder besser verstehen, warum es eben auch gilt, häufiger zu verzichten. Nicht nur sie, auch wir Erwachsenen. Ich hoffe, dass wir nicht nur all die Glücksmomente dieser besonderen Begegnungen, sondern auch diese Erkenntnisse mit nach Hause, in unseren Alltag weit weg vom Meer, mitnehmen werden.

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Mamablog: 13-monatiger Familientörn – Das Meer ist uns näher als zuvor
Auf hoher See entdeckt die Familie unserer Autorin die unglaubliche Artenvielfalt dieses Lebensraums – und macht sich zunehmend Sorgen um dessen Befinden.