«Das Macho-Image gehört zur Formel 1»
Als Geschäftsführerin von Sauber ist Monisha Kaltenborn die erste Frau in einer Chefposition in der Königsklasse. Unter ihr hat sich der Schweizer Rennstall stark verändert. Und sie könnte zu einer Trendsetterin in dieser Männerwelt werden.

Sie staunt, als ob ihr der Raum fremd wäre. Hell fällt das Sonnenlicht durch die verglaste Decke in die weite Halle im Sauber-Werk, die sie Atrium nennen. Und Monisha Kaltenborn, Chefin des Formel-1-Rennstalls aus Hinwil, findet, als sie selbst posiert: «Was für ein herrlicher Ort für Fotos!» Offiziell heisst das Atrium «Maintenance», nach den Grands Prix werden hier die Autos gewartet. Nun herrscht kaum Betrieb, sind die Autos ausser Haus. Die neue Formel-1-Saison beginnt nun in Australien.Monisha Kaltenborn, sind Sie eine Autonärrin? Nein, das bin ich sicher nicht. Ich habe aber grosses Interesse für die Autos, die wir produzieren. Das kann man sogar durchaus Passion nennen.Autofreak muss man aber nicht sein, um das zu tun, was Sie tun? Gar nicht. Klar, man muss fasziniert sein von den technischen Aspekten. Wir bewegen uns in einem hochtechnologischen Umfeld, in dem wir zudem innovativ sein möchten und müssen. Das heisst, ich musste mich in dieses Thema reinknien und einarbeiten, um ein Grundverständnis zu bekommen. Mehr als das liegt jedoch kaum drin.Was fasziniert Sie an der Formel 1? Dass man das Trockene und Technische verbinden kann mit den Emotionen, mit dem Konkurrenzkampf und letztlich dem Glamour. Dazu kommt: Was man als Zuschauer im TV sieht, ist ja nur ein sehr kleiner Teil der Formel 1. Richtig faszinierend ist, was dahintersteckt und wie dieser Zirkus organisiert ist, damit er durch die ganze Welt ziehen kann.Sie arbeiteten ab 2000 als Juristin bei Sauber und kennen das Unternehmen entsprechend gut. War für Sie Ende 2009 gleich klar, dass Sie diesen Job annehmen würden? Streng genommen, hat mich ja niemand gefragt (lacht). Es hat sich so ergeben. Als ich in dieses Metier kam, war das eine ganz fremde Welt. Um in die Materie zu finden, hat mir meine berufliche Ausbildung geholfen. In der Juristerei muss man bereit sein, abstrakt zu denken und das Wissen auf viele unterschiedliche Sachverhalte anzuwenden. Aber zugegeben: Man muss wirklich tief hinein, bevor man das erste Mal Fahrerverträge oder Motorenverträge ausarbeitet. Das sind ganz komplexe Dinge.Der Schritt zur Geschäftsführerin war allerdings nicht mehr so gross? Nein, war er nicht. Ich war bei Sauber in allen Bereichen tätig gewesen – weil jeder Bereich des Unternehmens juristisch geregelt werden muss.Peter Sauber ist nach wie vor der Teamchef und an der Strecke für die Rennstrategie verantwortlich. Das wäre nichts für Sie? Kameras sind ganz sicher nicht das, was ich brauche. Ich verstehe durchaus, dass ein Formel-1-Team ohne Öffentlichkeit nicht auskommt. Aber das Team heisst nun einmal Sauber – und solange Herr Sauber bereit ist, am Kommandostand an der Rennstrecke zu stehen, ist das für uns ein grosses Plus. Es wäre auch falsch, auf Erfahrungen zu verzichten, die er in 40?Jahren Motorsport sammelte.Die Schlagzeilen waren Ihnen dennoch gewiss, als Sie als erste Frau eine Chefposition in der Formel 1 übernahmen. Macht Sie das stolz? Dessen war ich mir gar nicht bewusst – bis ich erste Schlagzeilen las. Ich hatte in der Formel 1 oft mit Frauen zu tun. Ob man es glauben will oder nicht: Bei Bernie Ecclestone arbeiten Frauen in durchaus wichtigen Positionen. Ehrlich, dass ich die erste Chefin bin, freut mich. Und ich hoffe, dass meine Tätigkeit zeigt, dass man als Frau mehr machen kann als die Berufe, die Frauen im Motorsport ansonsten zugeordnet werden.Sie sprechen die Boxenluder an. Was halten Sie davon? Man sollte sie nicht verteufeln, genauso wenig sollten Frauen deswegen gekränkt sein. Boxenluder oder Gridgirls gehören zur Formel 1, das tun sie schon lange. Und mit ihnen muss keiner Mitleid haben. Es zwingt sie niemand dazu.Sehen Sie die Formel 1 denn nicht als Macho-Sport? Ich glaube, dass das früher schlimmer war. Und dieses Macho-Image gehört ein Stück weit zur Formel 1. Klar ist aber auch, dass sich das irgendwann ändern wird, Dinge haben sich noch immer irgendwann geändert. Das dauert in der Formel 1 vielleicht einfach ein bisschen länger. Vielleicht so lange, bis einmal eine Frau Technische Direktorin wird oder Renn-Ingenieurin.Wie schwierig ist es, einen Formel-1-Rennstall zu führen? Es fehlt mir die Erfahrung in anderen Bereichen, aber ich nehme an, dass es nicht schwieriger oder einfacher ist, als ein KMU zu führen. Mit dem Unterschied der Schnelllebigkeit – wir müssen sehr schnell auf Veränderungen reagieren. Mit dem Unterschied, dass das Resultat sich sofort auf der Rennstrecke niederschlägt. Mit dem Unterschied, dass uns 700 Millionen Menschen im Jahr zusehen und wir exponiert sind.Nicht die Alltagssorgen eines KMU. Doch, natürlich. Auch für uns ist die zentrale Frage: Wie bekommen wir die Mittel zusammen? Je mehr Geld wir haben, desto stärker entwickeln wir uns.Wie schwierig ist es, einen Rennstall wie Sauber zu führen, bei dem die Mittel begrenzt sind, das Budget vergleichsweise bescheidene 90 Millionen Euro betragen soll? Es war nach dem Ausstieg von BMW keine leichte Aufgabe. Herr Sauber hatte das Team Ende des Jahres übernommen (2009, die Redaktion), was der denkbar ungünstigste Zeitpunkt ist. Dann findet man keine Sponsoren mehr. Wir hatten also keine Partner, wir hatten auch keine Lizenz und keinen Startplatz. Wir wussten nicht einmal, was unser Status sein würde für den Fall, dass wir wieder eine Lizenz erhalten: ob wir ein neues Team sind oder ein bestehendes. Und das ist ganz entscheidend dafür, wie viele Einnahmen man aus dem TV-Pool erhält. Sie sehen: Wir hatten nichts. Ausser der wunderbaren Anlage hier in Hinwil. Das war schon eine Herausforderung.Hat . . . . . . Sie dürfen ausserdem nicht vergessen: Wir mussten Personal abbauen; die Mannschaft wurde von 430 auf damals 260 Mitarbeiter reduziert. Entsprechend war es um die Moral und die Atmosphäre bestellt. Aber Schritt für Schritt haben wir viele Probleme abgearbeitet, und wir sind auf dem richtigen Weg.Hat Sie diese Aufgabe an Ihre Grenzen gebracht? Nicht gerade an die Grenze, aber es waren sehr fordernde Momente, die ich nicht noch einmal erleben möchte. Es hat mich stark belastet, und das sollte Arbeit eigentlich nicht tun.Jetzt ist das Leben angenehmer? Die Belastung ist kleiner geworden, denn das Gröbste haben wir hinter uns. Aber der Weg ist noch weit. Wir haben uns hohe Ziele gesetzt und möchten uns verbessern: Ein Entwicklungssprung ist für 2013 geplant, und dafür sind wir sehr zuversichtlich. Klar ist doch, dass es mehr Spass macht, wenn man gelassen in die Zukunft schauen kann.Hierbei hilft, dass das neue Auto, der Sauber C30, farbiger daherkommt als noch 2010, dass Sie Partner gewonnen haben – allen voran Telmex. Wie schwierig war diese Sponsorensuche? Sie war immens schwierig. Sie können noch so überzeugend sein und gute Präsentationen liefern – am Ende zählt das Resultat und nichts anderes. Und mit unserer Statistik in den ersten acht Rennen der vergangenen Saison (mit einem einzigen WM-Punkt) war jedes Gespräch sehr schwierig. Oft hörte ich die Frage: «Wie lange in einem Rennen wird man denn mein Logo sehen.» Ich musste gestehen: «Eigentlich so gut wie nie.» Damit endet ein solches Gespräch in der Regel. Die Formel ist einfach: Je besser die Resultate, desto grösser das Interesse. Das wurde in der zweiten Saisonhälfte besser, nachdem man gesehen hat: Das Team steigert sich. Der Deal mit Telmex war für uns ein riesiger Schritt.Warum versagen Ihnen aber Schweizer Unternehmen die Partnerschaft? Das kann ich leider nicht beantworten. Wir scheinen für sie nicht attraktiv genug zu sein. Und das erstaunt mich. Was eine Firma wie Telmex in uns sieht, könnte doch auch ein Schweizer Unternehmen in uns sehen.Nämlich? Wir verkörpern Schweizer Werte: Professionalität, Präzision, Hochtechnologie, Zielstrebigkeit – und trotz globalem Auftritt auch Bodenständigkeit.In der neuen Saison beschäftigt Sauber zwei junge Fahrer. Provozieren Sie damit bewusst ein Image? Es passt sicher gut zu unserem Image. Sauber hat den Ruf, jungen Fahrern eine Chance in der Formel 1 zu bieten. Aber Hintergedanken hatten wir keine. Es war vielmehr ein Zeichen. Eine unserer erfolgreichsten Saisons war ja jene mit den jungen Fahrern Kimi (Räikkönen) und Nick (Heidfeld, im Jahr 2001).Was sollen denn Kamui Kobayashi und Sergio Pérez leisten? Ich erwarte regelmässige Punkteränge, dass wir uns stark verbessern. Kamui soll die Erfahrungen aus der vergangenen Saison umsetzen und mithelfen, das Auto schneller zu machen. Auch wenn es nicht besonders viel ist: Ein Jahr Erfahrung ist ein Jahr Erfahrung.Und Pérez? Sergio muss schauen, dass er sich so schnell wie möglich an die Umgebung Formel 1 gewöhnt. Der Schritt von der GP 2 in die Formel 1 ist in diesem Jahr ohnehin fordernd: Es gibt viele Veränderungen an den Autos, und selbst routinierte Fahrer haben ihren Unmut darüber geäussert. Für Sergio ist dann auch noch der ganze Rummel neu.