«Das Leben scheint für viele nicht mehr endlich»
Oft wird das Thema Organspende zu Lebzeiten nicht besprochen. Wieso und mit welchen fatalen Folgen, erklärt der Swisstransplant-Direktor.
Die Stiftung Swisstransplantlanciert ein neues Organspende-Register. Ab 1. Oktober können Personen, die ihre Organe spenden wollen, dies in eine elektronische Datenbank eintragen.
Das neue elektronische Organspende-Register soll unter anderem Angehörigen helfen, im Sinne des Verstorbenen zu entscheiden. Denn obwohl mit 85 Prozent eine grosse Mehrheit der Bevölkerung die Organspende befürwortet, sprechen nur wenige darüber. Wieso, das erklärt Franz Immer, Direktor von Swisstransplant.
Herr Immer, wieso spricht man zu wenig über die Organspende, sogar in langjährigen Beziehungen?
Das Thema «Sterben» ist in weiten Bevölkerungsgruppen kein Thema. Viele haben das Gefühl, es werde erst im hohen Alter aktuell. Darüber zu reden, ist daher sehr schwierig. In über der Hälfte der Gespräche kennt die Familie den Wunsch des Verstorbenen hinsichtlich Organspende nicht, und im Spitalalltag werden nur ganz wenige Spenderkarten gefunden.
Was bedeutet das?
Das bedeutet: Obwohl viele die Organspende befürworten, lehnen sie viele ab, wenn es konkret um einen verstorbenen Angehörigen geht – auch wenn dies gegen den Wunsch des Verstorbenen ist. Dadurch sterben Patienten, die auf lebensrettende Organe warten.
Und das, weil die Angehörigen schlichtweg nicht wussten, dass der Verstorbene seine Organspende bereits geregelt und sich dafür entschieden hatte?
Ja, genau. Viele Angehörige wissen nicht einmal, dass der Verstorbene einen Organspenderausweis ausgefüllt hat. Einmal, als ein Mann verstarb, wurde seine Frau gebeten, nochmals zu Hause nachzuschauen, ob nicht doch irgendwo ein Spenderausweis zu finden sei. Als sie im Portemonnaie ihres verstorbenen Mannes nachschaute, war dort tatsächlich einer. Ihr Mann hatte ihn unbemerkt von seiner Frau 20 Jahre lang auf sich getragen.
«Die Medizin geht heute sehr weit. Wenn der Tod dann trotzdem eintritt, schauen alle fassungslos.»
Ist der Tod also sogar zu privat für eine Beziehung?
Der Tod macht auch in Beziehungen Angst. Die Zukunft, Träume und Visionen sind viel attraktiver für das Leben eines Paars. Sterben generell scheint ein Tabu zu sein. Vor allem darüber zu sprechen.
Hat das mit Ängsten zu tun?
Ich nehme es an – aber eben viel zu oft will man nicht wahrhaben, dass das Sterben leider in jeder Alterskategorie und zu jedem Zeitpunkt aktuell werden kann. Diesen Moment zu regeln, fällt vielen schwer. Die Auseinandersetzung damit wird so lange wie möglich hinausgezögert.
Irgendwie erstaunlich, in einer Zeit, in der alles geplant und vermessen wird – nur das Ende nicht.
Vielleicht liegt es genau daran. Die Medizin geht sehr weit. Das Leben scheint für viele nicht mehr endlich. Wenn der Tod dann trotzdem eintritt, schauen alle fassungslos.
Ist denn die Bereitschaft, Organe zu spenden und darüber zu sprechen oder eben zu schweigen, religiös oder kulturell bedingt?
Viele Menschen willigen in die Organspende ein, um anderen Menschen zu helfen, Lebensqualität weiterzugeben, anstatt intakte Organe zu kremieren. Das deckt sich mit der Religion – Organspende im Sinne der Nächstenliebe. Das hat die katholische Kirche immer wieder betont. Gerade Papst Johannes Paul II. hat sich klar zur Organspende geäussert. Er war dafür.
Wird in der Schweiz überall gleich viel gespendet?
Beim Spenden sehe ich keine klaren regionalen Muster. Aber bei der Haltung zur aktuellen Initiative zur Förderung von Organspenden. In der Westschweiz und im Tessin ist die öffentliche Unterstützung grösser. In der Deutschschweiz wird die Initiative eher hinterfragt.
Unabhängig von dieser Initiative wird am 1. Oktober das neue Organspende-Register lanciert. Es hilft also, wenn für Angehörige nicht klar ist, ob der Verstorbene seine Organe hätte spenden wollen.
Genau. Das Register schafft hier Klarheit, sodass der persönliche Wunsch festgehalten werden kann, ob ja oder nein, ohne dass die Diskussion geführt werden muss. Den Wunsch letztlich zu kennen, idealerweise durch die Information der Familie kombiniert mit einem Eintrag, entlastet die Angehörigen, aber auch das Spitalpersonal in einem schwierigen Moment.
Gibt es gleichzeitig auch Massnahmen, um einen offeneren Umgang mit dem Thema anzuregen?
Sicher! Man versucht, in Kampagnen darauf hinzuweisen, man streicht immer wieder heraus, wie wichtig es ist, diesen Moment zu regeln vor dem Hintergrund aktueller Gesetzgebungen, nicht nur betreffend Organspende. Nur zu gern verschiebt man das dann eben auf «morgen».
Details zum elektronischen Organspende-Register werden am 1. Oktober bekannt gegeben, wenn die Datenbank mit einer Pressekonferenz offiziell lanciert wird. Mehr Informationen finden Sie hier.
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