«Das hat nichts mit christlichem Fundamentalismus zu tun»
1500 Seiten dick ist das «Manifest» des norwegischen Attentäters Anders Breivik. Religionshistoriker Jean-François Mayer hat das Dokument studiert und sagt, welche Ideologie sich dahinter verbirgt.
Die Anschläge in Norwegen waren nicht religiös sondern politisch motiviert. Das sagt der Religionshistoriker Jean-François Mayer nach der Analyse des 1500-seitigen «Manifestes» des Attentäters Anders Behring Breivik. Die Bezeichnung «christlicher Fundamentalist» weist er zurück.
«Das hier hat nichts mit christlichem Fundamentalismus zu tun», wie von der norwegischen Polizei und den Medien oft beschrieben, sagt der Direktor des Instituts Religioscope in Freiburg im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda. Mit keinem Wort werde in dem Dokument der Traum eines Religionsstaates oder eines religiösen Europas erwähnt.
Bibel diente nicht als Rechtfertigung
Der Täter sei ein «kulturell Gläubiger und nicht biblisch». Er sei weder praktizierend, noch habe er die Anschläge mit der Bibel gerechtfertigt. «Das war eine sehr politische Tat mit einer politischen Logik, einem politischen Gedankengut und einer politischen Vision», sagt Mayer. Der Historiker erinnert dabei an die beiden wichtigsten Motive des Attentäters: Die Präsenz von Muslimen in Europa und den Multikulturalismus.
Mayer betont, dass Behring Breivik weder Moscheen noch islamische Versammlungen ins Visier nahm. «Die Haupt-Legitimation seiner Tat ist die Islamophobie. Doch er greift die politischen Eliten an, welche die muslimische Immigration befürworten oder zulassen», sagt Mayer. Deshalb sei sein Engagement politisch, mit einer extremistischen Ideologie.
«Es handelt sich vielleicht um die erste terroristische Tat in Europa, die um die Ablehnung des Islams und das radikale Misstrauen gegenüber den politischen Eliten kreist», sagt Mayer. Das stehe im Zusammenhang mit den Attentaten vom 11. September 2001 in den USA.
Taktik des «einsamen Wolfs»
Laut Mayer wandte Behring Breivik eine Taktik des «einsamen Wolfs» an. «Das ist ziemlich typisch für einige radikale Kreise», führt er aus. Alleine zu handeln, erlaube, nicht entdeckt zu werden und eine Chance zu haben, sein Ziel zu erreichen, sagt der Religionshistoriker. Dass diese Anschläge in einem nördlichen Land verübt wurden, hält er für einen «Zufall».
Behring Breivik gehöre keiner Partei an und zitiere auch keine Partei als Hauptquelle seines Manifests. Nach Einschätzung von Mayer ist er eher Teil einer Anti-Islam-Bewegung und der Rechtsxtremen, mehr einer Strömung als einem konkreten Grüppchen. «Er ist ein Mann, der Sympathie für diese Kreise hat, und sich mit ihnen austauscht, aber eher über Blogs und Foren», sagt Mayer.
Marketing der Gewalt
Nach dem Lesen des Manifests erklärt sich der Historiker überrascht über die methodische beziehungsweise besessene Vorbereitung des Doppelanschlags, ganz abgesehen von dem «technisch phänomenalen Timing».
Es handle sich um das Werk eines intelligenten, wenn auch psychisch verwirrten Menschen. Diese Störung beeinträchige eine rigorose Funktionalität nicht. Mayer weist darauf hin, dass das Manifest für denselben Tag zwei weitere Anschläge erwähnt, die klar aufzeigen, dass Behring Breivik seinen Gerichtsprozess als Propagandaplattform nutzen wolle. Er habe sogar die Fortsetzung seiner Operationen erwähnt im Falle eines Gefängnisausbruchs.
Das Manifest, das auf dem Internet zirkuliert, könnte ein Referenztext werden für ähnliche politische Kreise, befürchtet Mayer. Behring Breivik habe sich in Marketingbegriffen überlegt, wie er seine Sache verbreiten wolle.
SDA/miw
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