Das anonyme Schreiben heizt nur Trumps Paranoia an
Interna aus dem Weissen Haus zu verbreiten, ist der falsche Weg, um dem US-Präsidenten Einhalt zu gebieten.

Es gab schon immer erstaunliche Ereignisse in Washington, etwa die sensationelle Publizierung der geheimen «Pentagon-Papiere» 1971. Oder die Anweisung des damaligen Verteidigungsministers James Schlesinger, dass ihm jeder militärische Befehl des psychisch labilen Richard Nixon vorzulegen sei. Überdies gab es immer wieder anonyme Autoren oder solche, die sich unter einem Pseudonym in politische Debatten einschalteten.
Niemals zuvor aber meldete sich ein im Amt befindlicher und angeblich hochrangiger Mitarbeiter eines Präsidenten anonym zu Wort – um vor diesem Präsidenten zu warnen und die Amerikaner von der Existenz eines internen Widerstands zu unterrichten. Genau das ist mit der Veröffentlichung des Meinungsstücks eines anonymen Verfassers in der «New York Times» am Mittwoch geschehen. Und nur einen Tag nach den ersten Auszügen aus Bob Woodwards neuem Enthüllungsbuch über die Vorgänge im Weissen Haus und über die Untauglichkeit Donald Trumps für das Präsidentenamt wird nun durch einen Insider bestätigt, was alle ahnten.
Der anonyme Bericht wird keine Abhilfe schaffen, sondern Donald Trumps zerstörerische Paranoia weiter anheizen.
«Seit dem ersten Tag» habe man um die Zustände im Weissen Haus gewusst, reagierte der republikanische Senator Bob Corker gestern auf die anonyme Bombe in der «New York Times». Dort hiess es, die Wurzel des Problems mit Trump sei dessen «Amoralität». Der Präsident sei zudem «ungestüm», er sei «kleinlich» und «untüchtig», und vor allem sei er «antidemokratisch». Dem Chaos entgegen wirkten tapfere Mitarbeiter, die das Schlimmste verhinderten und die Vereinigten Staaten vor allem in der Aussen- und Sicherheitspolitik vor grösserem Schaden bewahrten.
Dass der Präsident daraufhin explodierte, versteht sich von selbst. Noch am Mittwochabend verlangte Trump in einem unsinnigen Tweet die sofortige Auslieferung des anonymen Autors «an den Staat». Dazu wird es nicht kommen, der beispiellose Vorgang aber beleuchtet, wie weit die Verrottung der Institution der Präsidentschaft seit dem Amtsantritt Donald Trumps gediehen ist.
Schliesslich wählte das Wahlmännerkollegium als Vertreterin der amerikanischen Wähler Donald Trump und nicht seine Untergebenen als Exekutive. Ausserdem hat jeder Präsident das Recht auf die Loyalität seiner Untergebenen. Es geht nicht an, dass Mitarbeiter Dokumente vom Schreibtisch des Präsidenten entwenden, um ihre Unterzeichnung zu verhindern, wie Bob Woodward dies beschreibt. Wenn die Mitarbeiter Trumps überzeugt sind, dass der Präsident seine Amtsgeschäfte nicht mehr auszuüben vermag, haben sie die Pflicht, den Kongress und die amerikanische Öffentlichkeit davon zu unterrichten, damit Abhilfe in Form einer Amtsenthebung geschaffen wird.
Opfer eines vermeintlichen «Deep State»
Der anonyme Bericht aus den Eingeweiden der Regierung Trump wird hingegen keine Abhilfe schaffen, sondern Donald Trumps zerstörerische Paranoia weiter anheizen. Schon sprach der Präsident von den «Schlangen» in seiner Umgebung, auch wird er jetzt alles daransetzen, vermeintlich unverlässliche Mitarbeiter aufzuspüren. Er könne sich nur noch auf seine Kinder «verlassen», klagte Trump am Mittwochabend. Die Publizierung des anonymen Artikels wird den Präsidenten in seinem Irrglauben bestärken, dass er Opfer eines «Deep State» innerhalb seiner Administration sei, der ihn aus dem Amt stossen wolle.
Trumps Mitarbeiter leisten ihren Amtseid nicht auf den Präsidenten, sondern auf die Verfassung ab. Und die Verfassung bestimmt im 25. Zusatz, dass ein für das Amt untauglicher Präsident aus diesem Amt entfernt werden muss. Die republikanische Mehrheit im Kongress, die ihrer von der Verfassung vorgeschriebenen Aufsichtspflicht über die Exekutive nicht nachkommt, wird Trump nicht des Amtes entheben. Auch sein Kabinett wird sich nicht zu Wort melden. Was bleibt, sind schreckliche Bücher wie jenes von Bob Woodward und anonyme Warnungen von Trumps Mitarbeitern.
Damit aber ist es nicht getan. Wer überzeugt ist, dass Donald Trump eine Gefahr für Land und Leute ist, sollte von seinem Regierungsamt zurücktreten und diesen Rücktritt begründen. Vielleicht käme dann Bewegung in die gefährliche Situation in der amerikanischen Hauptstadt. Andernfalls wird sich das amerikanische Trauerspiel hinziehen und beträchtlichen Schaden anrichten.
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