Trotz Handicap am IronmanDas Abenteuer gesucht – und plötzlich traute er sich
Der geistig beeinträchtigte Patrick Nöthiger erfüllte sich am Triathlon in Rapperswil-Jona einen Traum. Profisportler Jan van Berkel begleitete den 38-Jährigen.

Die Tränen der zweifachen Olympia-Teilnehmerin Martina van Berkel unmittelbar vor dem Start zu den 1,9 km Schwimmen, 90 km Velo und 21,1 km Laufen des Ironman 70.3 Switzerland Rapperswil-Jona zeugten von der Emotionalität, die beim letzten Starterfeld vorherrschte. Behindertensportler Patrick Nöthiger war der Erststartende dieses Rolling Starts. Und sie, die einstige Topsportlerin, war wenige Minuten später als Startschwimmerin mit der Staffel um den zweiten Special Olympic Athleten Peter Schweiger an der Reihe.
Martina van Berkel war nicht die einzige Berührte. Viele der 300 Startenden im letzten Feld setzten eine spontane Konzentrationspause ein und applaudierten. Es war der Auftakt eines Unterfangens, das zeigen sollte, dass auch angeblich Limitierte zu Besonderem fähig sind.
Protagonist Nöthiger trat zu seinem «grössten Tag» mit einer erstaunlichen Gelassenheit an. «Klar, bin ich etwas aufgeregt und habe ich nicht so toll geschlafen», hatte er rund 30 Minuten vor dem Start gesagt. Das Gedankenkarussell hatte ihn zwar in der Nacht kaum zur Ruhe kommen lassen: «Ich machte mir Gedanken zum Bevorstehenden und was mich erwarten könnte.» Von seiner Überzeugung abbringen liess er sich aber nicht: «Das packen wir, das packe ich, ich bin voller Zuversicht.»
Das Projekt des Champions
Und aus Optimismus entwickelte sich schnell Sicherheit. «Beim Schwimmen, meiner Sorgedisziplin, benötigte ich einige Minuten, um den Rhythmus und das Gefühl zu gewinnen, dann ging es immer besser.» Nach 5:52:24 Stunden erreichte er das Ziel.
Das Projekt aufgegleist hatte Jan van Berkel als Botschafter von Special Olympic Switzerland. Zwei geistig-behinderte Sportler kamen zum Handkuss. Mit ihnen startete der Triathlon-Profi und dreifache Ironman-Switzerland-Sieger vergangenen Herbst die Vorbereitung. Seine Absicht: Er traf das Duo des Behinderten-Sportclub Wohlen-Lenzburg, leitete Trainingseinheiten, gab nicht nur bezüglich sportlicher Vorbereitung Tipps, sondern auch in Sachen (Wettkampf-)Ernährung und mentaler Vorbereitung.
Zu meistern gab es etliches. Auch für Nöthiger. «Ich war Leichtathlet», sagte er auf seinen Start ins Projekt. Zwei Mal hat er die Schweiz an den World Games vertreten, in Los Angeles und Shanghai. Nun aber forderte ihn etwas anderes: «Vor allem Schwimmen war Neuland für mich.» Jan van Berkel machte ihm klar, dass der Crawlstil nicht nur schneller, sondern auch energieeffizienter und schonender für die Beinmuskulatur ist. Die Efforts, die Nöthiger leistete, führten aber nicht zur erwünschten Sicherheit und Vertrautheit. Irgendwann stellte sich heraus: «Wir schwimmen im Bruststil, es gibt auch andere, die dies tun.»
Beruhigender Vorsprung
Um die Basis für einen 70.3 Ironman zu schaffen, war viel Fein- und Detailarbeit nötig. Marlis Meier leistete diese mit ihrem Ehemann Jürg, beide Betreuer beim BSC Wohlen-Lenzburg. «Da ging es um mehr als die Steigerung des Trainings auf bis zu fünf Wocheneinheiten. Es war auch zentral, den Menschen Patrick abzuholen und ihm die nötige Sicherheit und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten immer wieder zu geben.» Als Beispiel nennt Marlis Meier neben dem Schwimmen das Velofahren mit dem Angewöhnen an die Klickpedale und das Überwinden der Angst bei höheren Tempi. «Auf dem Velo zeigte sich eindrücklich, wie Patrick seine Grenzen verschoben hat», sagt sie, «plötzlich traute er sich mit mehr als 50 Stundenkilometer eine Abfahrt hinunterzusausen.»
Die Herausforderung Ironman 70.3 glückte – allerdings nicht ohne Schwierigkeiten. Auf der zweiten Velorunde von 45 km Länge wurde der 38-jährige Unterhaltspraktiker mit Vollzeitanstellung plötzlich deutlich langsamer. «Die Beine sind schwer geworden», stellte er fest. Van Berkel riet ihm, viel Salz zu lecken. Nöthiger tats und staunte über den Effekt. Sicherheit vermittelten ihm auch folgende Worte van Berkels: «Du kannst dich hinlegen, dich ausruhen, wir haben einen Vorsprung von 40 Minuten auf den Besenwagen.»
Auch eine deutlich kürzere Pause wirkte. Die Energiebilanz verbesserte sich wieder. Und der Halbmarathon zu Fuss bereitete ihm wie angenommen wenig Kopfzerbrechen: «Laufen ist das, was ich kann und was mir liegt.» Und mit der moralischen Unterstützung seines Begleiters, bewältigte er auch diesen. Die Ziellinie erreichte er freudestrahlend. Und wenig später kullerten ihm die Tränen die Backen herunter. «Eine Riesenlast ist weg. Ich trug seit einem Jahr dieses Bild des Zieleinlaufs in mir und jetzt ist das Realität, unglaublich, ein Traum.»
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