Jazz Nights LangnauColtrane mit einem Schuss Punk
Die aufstrebende Saxofonistin Lakecia Benjamin interpretiert auf ihrem neuen Album Kompositionen von Alice und John Coltrane neu. In Langnau gab sie ein begeisterndes Konzert.

Zuerst wirkt sie etwas kühl, ja distanziert, wie sie da auf der Bühne steht und richtiggehende Altsaxofon-Schreie in den Raum hinausbläst. Mit ihrem weissen Blazer, den goldenen Hosen und der exzentrischen Brille erinnert sie ein bisschen an Miles Davis mit seinen schrillen Outfits damals in den 1970er-Jahren.
Aber lange wird es nicht dauern, bis Lakecia Benjamin alle um den Finger gewickelt hat. Die Distanziertheit – sie ist nur Konzentration. Schon das erste Stück, John Coltranes «Liberia» vom Album «Coltrane’s Sound» von 1964, wird zum wabernden, funkelnden Körper, der sich immer weiter ausbreitet – bis in die hintersten Ecken der Langnauer Kupferschmiede.
Die Grössten der Grossen
Dank den Jazz Nights haben in den letzten dreissig Jahren die Grössten der Grossen des Jazz ihren Weg ins Emmental gefunden. 2019 etwa gab der über 80-jährige Bassist Ron Carter hier ein unvergessliches Konzert. Mit Lakecia Benjamin ist nun eine Musikerin in die Kupferschmiede gekommen, die in den USA längst zu den führenden Figuren einer neuen Generation ungemein vielfältiger, mutiger und starker Instrumentalistinnen des Jazz gehört.
Die gebürtige New Yorkerin, die schon mit Prince, Stevie Wonder und etwa The Roots gearbeitet hat, mischt in ihren fiebrigen Improvisationen und Kompositionen stets auch Soul, Funk, R ’n’ B. Inzwischen hat die 40-Jährige drei Alben als Bandleaderin veröffentlicht. Für ihr drittes Werk ist sie ein Wagnis eingegangen, eines, das man ihr hoch anrechnen kann. Es heisst «Pursuance: The Coltranes» und vereint ein Dutzend neu interpretierte Kompositionen von Alice und John Coltrane. Damit ehrt sie das Werk von zwei der einflussreichsten Jazzmusikerinnen und -musiker des 20. Jahrhunderts.

Während John Coltrane geradezu kultisch verehrt wird, wurde seine Frau, die Pianistin, Harfenistin und Komponistin, lange Zeit eher wenig wahrgenommen. Das kann auch damit zu tun haben, dass sie nach dem Tod ihres Mannes 1967 nur noch etwa fünf Jahre Musik komponierte. Für das Album hat Benjamin eine generationenübergreifende Starbesetzung zusammengestellt, unter anderem Dee Dee Bridgewater, Ron Carter, die Last Poets, Meshell Ndegecello und Greg Osby. Nach Langnau gekommen ist sie nun mit einem vorzüglichen, energetischen Quartett: Victor Gould am Piano, E. J. Strickland am Schlagzeug und dem Bassisten Ivan Taylor.
Im Coltrane-Universum
Die vier sind seit Monaten auf Europatournee und jetzt offenbar äusserst zufrieden, im Emmental ein wenig rasten zu können. Sie sei sehr glücklich, hier zu sein, meint Lakecia Benjamin nach dem wabernden «Liberia»-Intro. Sie komme gerade aus Paris. Hier in Langnau sei einfach alles besser: die Luft, das Essen, die Landschaft, das Hotel und, ja, auch die Leute, sagt sie und lässt damit gleich jegliches Gefühl der anfänglichen Distanziertheit verfliegen.
Die sympathische Frau lässt es in der Kupferschmiede gar etwas familiär werden. Es ist, als sitze man in ihrem Wohnzimmer und lasse sich von ihr durch das spirituelle, melancholische und energetische Coltrane-Universum führen.
Die Reise beginnt mit einem hemmungslosen «Syeeda’s Song Flute» von John Coltranes «Giant Steps» aus dem Jahr 1960 und geht über in Alice Coltranes Bluesballade «Turiya and Ramakrishna», die zur dunkelblauen Betörung mit hellen Altoschreien wird.
So geht das hin und her – von John zu Alice und zurück. Benjamin lässt sich von der Band tragen, tanzt mit ihrem hellen Altsaxofon wie auf einem Vulkan, spielt ausserordentlich leichtfüssig, temporeich, hoch konzentiert und manchmal, vielleicht, etwas zu abgeklärt. Ihre Versionen sind oft mehr ein Kitzeln als ein Kratzen, dabei aber durchaus kraftvoll. Gerade das sehr bekannte «My Favorite Things» vom gleichnamigen Album von 1961 lässt sie absichtlich etwas zerfleddern und verleiht dem Song dadurch einen eigentümlichen, nicht unsympathischen Punk-Einschlag. Alice Coltranes Version von «Walk with Me» wird zum elegischen, zarten, souligen Geflüster.
So reduziert, im Quartett, sind die Interpretationen, anders als auf dem Album, jedoch meist nahe an den Originalen. Da gibt es keine Hip-Hop- oder Funk-Ausschweifungen. Lakecia Benjamin verschmilzt die so unterschiedlichen Welten von Alice und John Coltrane zu etwas Eigenem in frischen, frechen Farben. Johns Kompositionen nimmt sie die Schwere, Alices Songs die Süsslichkeit. Der Abend findet in einer kernigen Suite aus «Alabama» (Live at Birdland, 1963) und «Acknowledgemt» (A Love Supreme, 1965) ein bewegendes Finale.
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