Coiffeur für die Obstbäume
Der Schnee ist weggeschmolzen, und die blattlosen Bäume sehen etwas mitgenommen aus. Ein neuer Baumschnitt muss her. Nicht immer wird dafür ein Profi benötigt. Bauer Urs Grunder schneidet seine Bäume selbst.
Sehr zügig, als täte er täglich nichts anderes, klettert Landwirt Urs Grunder auf die an einem dicken Baumast lehnende Leiter. Alles wackelt und sieht etwas gefährlich aus. Ohne sich gross festzuhalten, schneidet er rasch einige Äste ab. Blitzschnell ist der grosse Ast bearbeitet, und Grunder setzt zum Herunterklettern an. Pyramidenförmig soll die Baumkrone des ausgewachsenen Apfelbaums werden.
Dass er bereits seit seiner Kindheit Bäume beschneidet, ist nicht zu übersehen: «Mein Vater hat mir schon vieles beigebracht.» Früher war es allerdings noch üblich, vor Weihnachten bei den Kirschbäumen den sogenannten Winterschnitt durchzuführen. «Heute werden die Schnitt- und Formierarbeiten an Bäumen eher später praktiziert und sind bis zum April bedenkenlos möglich», sagt der ehemalige Zäziwiler Gemeindepräsident Grunder. Mit dem Schneiden bezweckt man, dass die Äste nicht zu schwer und die Früchte optimal besonnt werden.
Weiter kann man mit dem Schnitt auch Einfluss auf die Blütenbildung nehmen. Dabei ist es wichtig, die Blattknospen von den Blütenknospen zu unterscheiden. «Blütenknospen sind dicker, grösser und ausgeprägter», erklärt der 62-Jährige. An aufrecht stehenden Ästen werden die Blütenknospen nicht so stark ausgebildet, weil die Äste zu stark und zu aufrecht wachsen. «Blütenknospen bilden sich am besten, wenn der Ast sehr flach wächst», sagt er. Äste an älteren Bäumen wachsen langsamer und sind flacher, daher ideal für eine Blütenbildung.
Dem Menschen sehr ähnlich
«Bei den Hochstammbäumen ist der Oeschbergschnitt am populärsten», sagt der Bauer. Es wird immer, egal ob beim Kern- oder Steinobstbaum, von aussen nach innen und von oben nach unten geschnitten. Starke Seitenäste und Astgabelungen auf der oberen und unteren Seite des Leitastes werden weggeschnitten. Durch diesen Eingriff werden zwar auch Blütenknospen geschnitten, die verbleibenden Knospen werden aber durch weniger Äste besser von der Sonne belichtet, was zu einer besseren Ernte führt.
«Das ist so wie bei Menschenhaar. Man schneidet die Haare zuerst, damit sie dann besser und gesünder nachwachsen», vergleicht Grunder. Mit dem Oeschbergschnitt wird die gewünschte Pyramidenform erhalten. Den Namen verdankt der Schnitt der Kantonalen Obst- und Gartenbauschule Oeschberg in Koppigen, die diesen beliebten Baumschnitt kreierte.
Junge Bäume schneide er mit einer feineren Baumschere. An denen müsse er auch detaillierter herumschnipseln: «Das ist auch wieder wie bei uns Menschen. Junge Leute lassen sich eher formen als die alten», sagt Grunder lachend. Damit die Äste der Jungbäume nach unten wachsen, binde er sie mit einer Schnur ab oder hänge kleine Gewichte dran, um sie zu beschweren.
Schneidkurse wieder beliebt
Sein immenses Wissen über den Baumschnitt und seine Begeisterung für die Natur gibt Grunder gerne weiter. Regelmässig führt er Baumschnittkurse für die Fachstelle für Obstbau, aber auch für Landwirte und andere Privatpersonen. Davon gebe es glücklicherweise wieder mehr: «Aber es sind deutlich weniger Personen, die ihre Bäume selber schneiden, als vor 20 oder 30 Jahren.»
Für viele sei es einfacher, einen Baumwärter zu beauftragen. Wer sich trotzdem für die Baumpflege interessiert, kann bei der kantonalen Fachstelle für Obst einen Kurs besuchen. Auch sei der Baumschnitt anders zu setzen bei einem Kernobstbaum als bei einem Steinobstbaum. «Jeder Baum ist anders und sollte individuell behandelt werden», findet Grunder.
Für alle Bäume gelte jedoch das Gleiche bei der Desinfektion der verschiedenen Schneidgeräte. Sehr wichtig ist: «Die Säge und die Schere müssen vor dem Schneiden mit einem Bunsenbrenner erhitzt oder mit Alkohol desinfiziert werden», rät Grunder. Zur Not täte es auch eine Abwaschmaschine. Denn ebenfalls wie Menschen können sich Bäume durch unsauberes Werkzeug mit Pflanzenkrankheiten anstecken.
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