China zwingt die USA in die Knie
China verkauft seine Produkte zu Dumpingpreisen in die USA und sammelt emsig Dollar, die in US-Anleihen reinvestiert werden. Teil 4 der Serie über die Brennpunkte der Weltwirtschaft beleuchtet die Konsequenzen.
Alle reden über die Schuldenkrisen in Europa und den USA. Dies- und jenseits des Teichs sind alle Länder dermassen mit innenpolitischen Querelen, Budgetlöchern und Währungskrisen beschäftigt, dass unbemerkt die Gefahr eines neuerlichen Finanzmarktkollapses droht, und zwar aus China. Eine Achtlosigkeit, die sich für die westlichen Industrienationen bitter rächen kann. Würde China plötzlich die Unmengen an Dollarreserven und US-Staatsanleihen auf denen die Zentralbank sitzt, auf den Markt werfen, weil der US-Dollar weiter so stark an Wert verliert, dann rasseln Währungs- und Anleihenkurse noch weiter in den Keller und die US-Staatsschulden explodieren. Die Finanzmärkte würden in Panik geraten, die USA wären das neue Griechenland.
Der Grund für die hohen Devisenbestände Chinas liegt bei dessen turbohaftem Export in die USA. Wenn man bedenkt, dass China seit Jahren einen zu hohen Handelsbilanzüberschuss hat, also die Exporte die Importe bei weitem übersteigen, dann hat das vor allem eines zur Folge: China kauft mit der eigenen Währung Yuan-Renminbi den US-Dollar wie verrückt auf.
Der Hintergrund: Weil die USA der wichtigste Exportmarkt Chinas sind, erhalten die meisten chinesischen Exporteure für ihre Waren Dollar. Im eigenen Land fängt der Exporteur mit Dollar wenig an, also tauscht er sie bei der Zentralbank in Yuan um. Das ist ein Grund, weshalb die chinesische Zentralbank heute auf einem Berg von Devisenreserven sitzt – 3,2 Billionen Dollar hortet die Zentralbank mit Stand Ende Juni 2011, das sind umgerechnet 2,62 Billionen Schweizer Franken. Innert eines Monats sind laut der Zentralbank in Peking die Devisenreserven um satte 30 Prozent gestiegen. Der andere Grund ist, dass China einen grossen Teil der Dollarreserven in US-Staatsanleihen veranlagt und so zum grössten Kreditgeber für die USA wird.
Kein Rezept gegen die Inflation
Die Zentralbank hat längst erkannt, dass dem Land durch die überschiessenden Exporte eine Überhitzung der Konjunktur droht. Über die hohen Exporte kommen Handel und Industrie an jenes Geld, das dann in Investitionsgüter fliesst, das führt wiederum zu steigenden Preisen am Investitionsgütermarkt, gemeinhin Inflation genannt. Die Gefahr dabei ist, dass zu hohe Preise den Privatkonsum abzuwürgen drohen. Das Rezept der Zentralbank: Ist weniger Geld im Umlauf, ist es auch mehr wert. Das wirkt der Inflation entgegen. Steigende Preise de facto bedeuten eine Entwertung des Geldes. Und steigende Preise sind deshalb ein Problem, weil sich dann die Menschen weniger leisten können. In den asiatischen Ländern wird das Inflationsproblem besonders schlagend, weil der Warenkorb, nach dem sich die Durchschnittspreise und damit die Inflation errechnen, anders gewichtet ist als in den westlichen Industrienationen: Nahrungsmittel machen in einem asiatischen Warenkorb einen Anteil von mehr als 50 Prozent aus. In den Industrienationen dagegen sind es nur 15 Prozent.
Dennoch ist es der Zentralbank bislang nicht gelungen, die Inflation durch eine Verknappung der Geldmenge in den Griff zu bekommen. Hinzu kommt in China eine enorme Investitionsquote von 42 Prozent und eine noch höhere Sparquote. Mit dem Effekt, dass in Summe nicht genug in den privaten Konsum fliesst.
Die Devisenreserven steigen mittlerweile so stark, dass alle Massnahmen wie auch die Verknappung der Geldmenge gegen die Inflation verpuffen. Im Gegenteil: Die Liquidität steigt sogar schneller denn je. Das Geld, das dadurch in den Markt gespült wird, ist auch Geld, das von den Banken in Form von Krediten vergeben wird. Haben Banken in China im Monat Mai noch umgerechnet 70 Milliarden Franken verliehen, waren es im Juni bereits 80 Milliarden Franken. Gerade wenn so viel Geld im Umlauf ist, das veranlagt werden will, können dadurch Finanz- und Immobilienblasen entstehen. Die Ratingagentur Moody's hat kürzlich geschätzt, dass bereits zwölf Prozent faule Kredite in den Büchern der Banken schlummern. Geld, das verliehen wurde, aber nicht zurückbezahlt werden kann.
Weitere Zinserhöhungen der Zentralbank sind deshalb unumgänglich, um das Geld teurer zu machen und damit die Geldmenge zu reduzieren und die Inflation zu senken. Seit Oktober des Vorjahres hat die Zentralbank bereits fünfmal den Leitzins erhöht. Gebracht hat es nichts: Die Teuerung hat mit 6,4 Prozent den höchsten Stand seit drei Jahren erreicht.
USA am Gängelband Chinas
Die Amerikaner wurmt das. Einerseits bieten chinesische Exporteure ihre Waren nach wie vor zu Dumpingpreisen an, mit denen US-Lieferanten nicht mithalten können. Umgekehrt machen die chinesischen Behörden den US-Firmen das Leben schwer, indem sie generell bei der Auftragsvergabe und beim Marktzugang inländische Firmen gegenüber ausländischen bevorzugen. Andererseits haben die Konsumhausse in den USA der 90er-Jahre und die Exporte dorthin die unsäglichen Dollarmengen in den Tresoren der chinesischen Zentralbank produziert. Mit der Konsequenz, dass die Schulden der USA heute zu einem beträchtlichen Teil von der Währungspolitik Chinas abhängen. Und wie bereits erwähnt von der Veranlagung in US-Staatsanleihen.
Immer wieder üben die USA in bilateralen Gesprächen bis auf die Ebene der Staatschefs hinauf Druck aus, China möge Handelsbarrieren abbauen beziehungsweise etwas gegen die künstlich unterbewertete Währung unternehmen, die einen unfairen Handelsvorteil gegenüber den USA darstellen würde. Nachdem der US-Präsident nahezu regelmässig den chinesischen Staatspräsidenten ins Gebet genommen hat, steigt der Yuan über ein paar Wochen oder sogar Monate und fällt dann wieder auf einen Tiefststand – ein Katz-und-Maus-Spiel, gegen das die Amerikaner letztlich machtlos sind. Die USA haben es in der Vergangenheit bereits mit Strafzöllen versucht. Allerdings schneiden sich die Amerikaner damit ins eigene Fleisch: Die Importprodukte müssten woanders gekauft werden, und das auch noch teurer. Und das nur deshalb, damit die Chinesen ein bisschen weniger exportieren, das wäre, wie mit Kanonen auf Spatzen zu schiessen.
Weniger toxische Papiere
Die Volksrepublik lacht sich derweil ins Fäustchen. Das Land ist nie in eine Rezession gefallen wie die meisten anderen Länder der Welt. Dessen Bankensystem ist im Vergleich zu den USA und Europa vergleichsweise noch solide, weil das Finanzsystem eng an die Regierung gebunden ist. Geraten die Banken ins Wanken, würden sie nicht im selben Ausmass Insitute mit in den Abgrund reissen wie das zum Beispiel bei spanischen Banken der Fall wäre, die eng verflochten und kleinteilig organisiert sind, mit hohen Aushaftungen innerhalb Europas bis hin nach Südamerika.
Auch die umliegenden asiatischen Länder wie Japan, Taiwan, Singapur und Südkorea sind von den laufenden Wirtschaftskrisen weniger betroffen. Unter anderem deshalb, weil die Bankenverflechtungen nicht so stark sind und weniger toxische Papiere gehandelt werden. China ist die Lokomotive des gesamten asiatischen Wirtschaftsraums. Ausserdem haben die asiatischen Länder geringere Schuldenstände als die USA oder die Länder Europas. Nur Japan ist mit einem Defizit von rund 1,5 Billionen Dollar auf Platz drei der weltweit grössten Schuldner.
Nach Tsunami und Erdbeben im April dieses Jahres gab es in Japan einen massiven Konjunktureinbruch, und die Exporte waren zurückgegangen. Grund war der Ausfall einiger wichtiger japanischer Lieferanten. Über die Monate hat sich die Wirtschaft aber wieder deutlich erholt. Die Stromversorgung läuft wieder, und die Sorgen um eine lang anhaltende Rezession in Japan haben sich verflüchtigt.
Asien profitiert von China
Vom China-Boom profitieren die meisten umliegenden asiatischen Länder. Mehr als die Hälfte des Exports dieser Länder geht in den asiatischen Raum, davon der grösste Teil nach China. Weil China so eine massive Fiskalpolitik betreibt, Unsummen in den Ausbau der Infrastruktur steckt und Steuererleichterungen bietet, profitieren Japan, Taiwan, Singapur und Südkorea von den meist grossvolumigen Aufträgen aus China. Die Formel ist simpel: Geht es China gut, geht es auch den umliegenden asiatischen Ländern gut.
Dank seines überdurchschnittlichen Wachstums dürfte China in rund zehn Jahren der weltweit zweitgrösste Konsummarkt werden. Die Löhne steigen allmählich, was dazu führt, dass die Nachfrage nach Bildung und höherwertigen Produkten im Inland zunimmt. China klettert die Wertschöpfungsleiter immer mehr empor, vom Veredler zum Erzeuger, das Land ist längst nicht mehr nur die verlängerte Werkbank der Industrienationen. Die Zahl der aus China stammenden Technologie-, Infrastruktur- und Stahlunternehmen steigt. Der Exportanteil der Textilindustrie schrumpft, Produkte mit mehr Know-how wie etwa elektronische Geräte nehmen wiederum stark zu.
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