«Cheerleading ist auch für Jungs»
Wegen seines Hobbys wurde Jonas Müller schon öfters belächelt: Er ist Cheerleader mit Leib und Seele. Als einer der wenigen Männer in dieser Frauendomäne schraubt sich der 18-jährige Grossaffoltner langsam nach oben.
Wer Cheerleading hört, verbindet damit die USA und hübsche blonde Mädchen, die mit strahlendem Lachen meterhoch in die Luft fliegen, sich zweimal um die eigene Achse drehen, in die Kamera winken und nach einem Rückwärtssalto wieder sicher auf dem Boden landen. Die Girls wedeln mit den Pompons und feuern das Footballteam für den anstehenden Kampf an.
Eher nach Kampf sieht auch die Realität in der Turnhalle des Schulhauses Höhe in Bümpliz aus. In Fünfergruppen trainieren die Cheerleader des Turnvereins Länggasse (TVL) hier ihre Figuren für die neue Choreografie. Immer wieder fällt jemand zu Boden, knallt ein Ellbogen in ein Gesicht, eines der Mädchen weint, entfernt den Zahnschutz aus dem Mund, so einen, wie ihn Boxer tragen. Mittendrin: Jonas Müller. Als männlicher Cheerleader ist der 18-jährige Grossaffoltner ein Exote in dieser Randsportart.
Blaue Flecken
«Die Unfallgefahr ist beim Cheerleading sehr hoch», kommentiert Jonas Müller das Geschehen in der Halle. Er ist in seiner dritten Saison als Cheerleader. «Ich hatte aber bisher Glück, ausser den üblichen blauen Flecken bin ich verschont geblieben.» Noch immer gibt es in der Schweiz kaum Männer, die sich in diese Frauendomäne wagen. «In den USA oder Kanada sind männliche Cheerleader viel verbreiteter.»
«Früher habe ich Fussball gespielt, aber eigentlich nur meinem Vater zuliebe.»
Der Seeländer musste sich schon dumme Sprüche anhören wegen seines Hobbys: «Das gängigste Klischee ist halt, dass Cheerleading nur für Mädchen ist.» Doch das stimme nicht. Auch sei Cheerleading «viel mehr als nur Pompons schwingen, was ich noch nie gemacht habe» – nämlich ein abwechslungsreicher Sport, der Elemente aus der Akrobatik, dem Bodenturnen und dem Tanz verbindet. Zum Repertoire gehören unter anderem dreistöckige Pyramiden, Saltos oder Stunts. Weil Müller klein und leicht ist, bleibt er nicht nur am Boden und stemmt die Mädchen hoch, sondern fliegt auch selber durch die Luft.
Zu scheu fürs Kunstturnen
Jonas Müller steckt im dritten Jahr seiner Ausbildung zum Hochbauzeichner. Er kam durch seine Freundin zum Cheerleading, «sie ist in derselben Gruppe und hat mich mal zu einem Training mitgeschleppt». Schon als kleiner Junge wollte er Kunstturner werden. «Ich habe mich aber nicht getraut, ohne einen Kollegen einem Verein beizutreten.» In Grossaffoltern war es üblich, Mitglied im örtlichen Turnverein zu sein, Ausscherer gab es auf dem Land selten. «Ich habe auch Fussball gespielt, aber eigentlich nur meinem Vater zuliebe.»
Im Cheerleading ist Jonas Müller daheim. Hier hat sich der quirlige junge Mann mit den strahlend blauen Augen innert kurzer Zeit wortwörtlich nach oben geschraubt. Nach einer Saison bei den Junioren der TVL-Cheerleaders kam er 2015 zu den Senioren, den Capital Hornets. Die Truppe besteht aus 21 Frauen und 4 Männern, alle zwischen 16 und 29 Jahre alt. Bereits in seinem zweiten Jahr konnte Jonas Müller letzten Frühling mit seinem Team und mit dem Nationalteam an den Weltmeisterschaften in Orlando (USA) teilnehmen.
Mehr Männer
Ziel jeder Saison sind die Schweizer Meisterschaften. Jedes Jahr studieren die Capital Hornets eine neue Choreografie ein, zwei- bis viermal die Woche trainieren sie in Bümpliz, viel Schweiss und Tränen fliessen für eine Show von zweieinhalb Minuten, die dann der Jury vorgetragen wird. Diesen Frühling gewann die Truppe die Schweizer Meisterschaften bereits zum vierten Mal in Folge. Im internationalen Vergleich glänzen die Cheerleader jedoch weniger: «Die Schweizer können mit den USA, Kanada oder dem europäischen Norden nicht mithalten», sagt Müller.
Insgesamt sind in der Schweiz rund 750 Aktive in den Vereinen, im Dezember dieses Jahres wurde Cheerleading zudem vom Internationalen Olympischen Komitee offiziell als Sportart anerkannt. «Cheerleading wird auch hierzulande immer beliebter», freut sich Müller, «und auch der Männeranteil wächst stetig.»
Als es draussen schon längst dunkel ist, baut sich die Berner Cheerleaderfamilie im Bümplizer Schulhaus zu einer grossen Pyramide auf. An der Spitze steht Jonas Müller und strahlt. «Solange ich Freude daran habe, werde ich Cheerleader bleiben.»
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